1 – Warum überhaupt nicht mehr so wie früher?

Die traditionelle Form des Schrifterwerbs gelang mit der berühmten Fibel.

Im Mittelalter, ja, so alt ist das Prinzip Fibel schon, hieß das nette Büchlein ein Abecedarium. Im Laufe der Zeit wurden die Texte darin nicht mehr alphabetisch sortiert, sondern mit Hilfe von kleinen Bibel-Passagen – wovon sich angeblich der Name Fibel ableitet – geleistet, die nach Anlauten sortiert waren. Inzwischen sind Fibeln unfassbar umfangreich und methodisch angereichert. Es gibt Übungen, worin man Reimwörter untereinander zu schreiben hat und immer nur der Anfangsbuchstabe gegeben ist: Beispielsweise: T ISCH – F …..

Es werden mit Silbenmethoden gearbeitet, welche praktischen Modellen von Brügelmann sehr nahe kommen, analytische Buchstabenprogressionen, Erstlesebücher und vieles mehr.

Aus meiner eigenen Grundschulzeit sind mir noch „Malübungen“ vertraut, bei welchen man Zeile für Zeile oder auch Seite für Seite immer wieder die selbe Linienführung – z.B. Wellen – malen musste. Dabei ging es zunächst darum, so exakt und sauber wie möglich zu malen. Und einige Zeit später entdeckte man, dass man die ganze Zeit keine Wellen, sondern das kleine Schreibschrift „s“ geübt hatte. Nun wurden Wellen mit Schleifen kombiniert, aneinander gemalt und so stand da auf einmal das hübsche Wörtchen „es“ oder der „See“ oder auch „Esel“.

Diese Art des Lernens ist aber durchweg linear gewesen. Und damit ist gemeint, dass alle in der Klasse gleichzeitig die gleiche Übung durchführten. Wir alle malten, ob es uns passte oder nicht, ob wir gerade an Spatzen dachten oder wirklich an Wellen oder an ein lustiges Lied, wir alle malten Wellen und schrieben am Ende der Einheit „Esel“. Wir waren gleichgeschaltet und es wurde sowohl ignoriert, was in unseren Köpfen vorging, als auch was wir schon konnten. Wer schon schreiben konnte, und wer sofort erkannte, dass er da keine Wellen malte, der malte trotzdem.

Für den Lehrer sind solche Methoden dankbar. Denn sie sparen ihm Zeit in der Vorbereitung. Es gibt ein Arbeitsheft mit verschiedenen Linienführungen, die sich schließlich einfach so in Buchstaben bzw. Wörter verwandeln. Und es gibt ganz eindeutige Aufgaben: Malt das jetzt mal eine ganze Seite lang.

Die Einheiten folgten systematisch aufeinander und so entfaltete sich vom simplen „sauber malen“ hin zu den Aufgaben: „Das Echo frisst immer den Anfangsbuchstaben weg: Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?“ langsam und allmählich ein Sprachverständnis. Und wer die Wellen am Anfang schön sauber zeichnen konnte, dem blühte am Ende des Schuljahres eine schöne Schrift.

Diese Methode ist recht altmodisch und folgt auf den ersten Blick der Theorie des Nürnberger Trichters. Wir können laut dieser Theorie jedem Kind einen symbolischen Trichter in den Rachen stecken und es so mit Informationen und Bildung und auch Kompetenzen füttern. Gekonnt wird, das zeigt die Erfahrung, nur das, was man auch gerade braucht. Braucht man den Stoff nicht mehr, „kotzt“ man ihn eben wieder aus und selbst meinen Schülern ist das Bonmot „Bullemielernen“ inzwischen ein Begriff. Denn diese Theorie des Lernens ist nicht umsonst schrecklich verschrien. Das lehrerzentrierte „Reinstopfen“ wird verantwortlich dafür gemacht, dass Kinder am Ende die Schule verlassen und keine Ahnung mehr haben, was sie überhaupt die letzten Jahre über gelernt haben. Denn es ist Ergebnis vieler Studien, dass zum erfolgreichen Lernen es dazugehört „die Schüler dort abzuholen, wo sie stehen“. Das sind die klassischen Sätze unter uns Lehrern. Man soll berücksichtigen, dass jeder Lerner bereits Wissen mitbringt und neues Wissen immer nur an altem Wissen anknüpfen kann, wenn es stabil gespeichert werden soll. Das ist eine recht naheliegende These und kann jeder an sich selbst beobachten. Die zweite wesentliche These zum effektiven Lernen: man lernt nur gut, wozu man auch motiviert ist. Und die oben erwähnte lineare Methode ist dadurch sehr stark abhängig vom Entertainer, dem Lehrer.

Das lineare Lernen ist vor allem aber ein „Friss oder Stirb“-Prinzip. Und es schlägt fehl, weil es die Schüler tatsächlich nicht wirklich respektiert. Allein durch das Ignorieren von individuellen Ausgangssituationen erscheint diese Linear-Methodik doch wirklich fragwürdig.

Etwas moderater fügen die Autoren hinzu: es schade ja nichts, sich mehr als nur einer Methode zu bedienen. Denn wer sein Methoden-Repertoire entwickeln und verfeinern möchte, für den gilt: „Je mehr unterschiedliche Hypothesen LehrerInnen ausprobieren, desto reicher dürfte ihr methodisches Repertoire werden, desto differenzierter ihr Beobachtungs- und Urteilsvermögen“ (S. 13)

Und dem ist auch aus der Praxis nichts entgegen zu halten. Die Absicht einer nicht-linearen Methode ist es also:

  • Die Schüler da abholen, wo sie stehen, also flexibel auf heterogene Gruppen eingehen zu können und nicht sequenziell nach Schema „F“ vorzugehen
  • Damit einhergehend: Binnendifferenziert zu unterrichten und nicht alle gleichgeschaltet am selben arbeiten zu lassen
  • Den Lehrern einen reicheren Pool an Wahrnehmungsmöglichkeiten zu bieten
  • Alles in allem: motivierend und schülerzentriert zu sein.

Das sind zunächst die theoretischen Voraussetzungen auf pädagogischer Ebene. Es gibt aber auch die Voraussetzungen auf der Ebene des Spracherwerbs. An dieser Stelle wird es deutlich interessanter.

Denn die beste Theorie taugt nichts, wenn sie nicht zur Realität passt.

Das wird aber das nächste Thema sein, das sentimentalisierend beginnt mit den vielen schönen Kämmen in Evelines Name und den vielen Gefühlen, ohne die das Lernen nicht in Gang kommen würde.

Was sagt ihr dazu?