10. Kalendertürchen: Der Sandmann


Heute gibt es im Kalender einen kurzen Blick hinter die Kulissen mit der Aussicht, was uns bald alles hier auf Odeon erwarten könnte.
Gemeinsam mit Julian Hämel von www.julianhaemel.com und Instagram.com/julianhaemel entsteht nämlich hinter den Kulissen derzeit ein Comic. Ein historischer Superheldencomic. Soviel sei schonmal verraten. Noch steht alles in den Werkstattschuhen. Aber wie sich das ganze entwickelt, ist schon eine spannende Sache. Wer hat Lust, Text und Bild mal miteinander zu vergleichen?

Der Sandmann
Sie sagen auch Sandmann, dachte er. Aber er streut keinen Traumsand in die Augen. Wenn du Sand in die Augen kriegst, kannst du nichts mehr sehen. Rainer drückte sich tiefer in den Schatten hinein. Er drehte an dem kleinen Rädchen, das seitlich von seiner Brille abstand und wie eine etwas übergroße Variante eines Uhrenrädchens aussah. Statt die Zeit richtig einzustellen konnte Rainer damit das Licht verbessern. Bunte Scheiben drehten sich vor die Brille. Speziallinsen aus Zeiss, Jena. Ohne die Brille hätte er den Sandmann wahrscheinlich gar nicht gesehen. Der hagere Typ mit dem Sack auf dem Rücken schlich in dieser Nacht durch den Berliner Großstadtnebel. Und Rainer folgte ihm. Auf dem Weg hatte er ab und an dubiose Gestalten getroffen, von ihnen heimlich etwas entgegengenommen und in seinen Sack gesteckt.  Je weiter sie gingen, umso gebückter, aber auch umso schneller lief er. Der Sandmann war vorsichtiger geworden. Immer wieder warf er verstohlene Blicke über seine Schulter. „Na komm schon. Bring mich zu deinem Heimatplaneten“, knirschte Rainer. Um weiter folgen zu können, musste er die Straßenseite wechseln. Es gab in diesem Viertel dieses verwinkelte Gassensystem. Wenn man hier abbog, geriet man in eine labyrinthartig angeordnete Folge von Hinterhöfen, die immer weiter durch schmale, überdachte Wege verbunden waren.  Aber wo der Nebel hinkam, da kamen auch der Sandmann und Rainer hin. Umso vorsichtiger musste man aber auch sein.  Rainer stieß im zweiten Verbindungsgang gegen einen von einem Kind liegen gelassenen Rollschuh. Das Geräusch verriet ihn. Der Sandmann hielt kurz inne. Dann stürmte er los.  So kurz vorm Ziel, fluchte Rainer in sich hinein.  Im nächsten Hinterhof gab es drei weitere Abzweigungen. Nur dank der Nachtsichtbrille konnte Rainer gerade noch einen wehenden Fetzen des Sandmannmantels sehen. Aber dann endete plötzlich das Labyrinth.  Rainer stand an einer größeren Straße mit Kopfsteinpflaster. Auf der anderen Straßenseite war dann ein kleiner Mauervorsprung und direkt dahinter die Spree. Vom Sandmann war nichts zu sehen. „So ein dummer Mist“, schnappte er. Drei Wochen hatte er damit verbracht auf der Lauer zu liegen, weil vielleicht an den Gerüchten über den Sandmann etwas wahr sein konnten. Und dann das. Langsam kehrte er zurück. Vielleicht gab es noch irgendwelche Spuren, die der Sandmann hinterlassen hatte. Du musst auf die Zeichen achten. In einer Welt voller Lügen und voller Gerüchte sind es die Zeichen auf die es ankommt und deine Interpretation dieser Zeichen. Auf dem Boden lag ein Tonband. Rainer hob es auf. Dabei fiel sein Blick auf die Hauswand, auf die jemand riesengroß Mick Jaggers Lippen mit der heraushängenden Zunge gemalt hatte. Unter den Lippen stand: „You can start me up, I’ll never stop” Vorsichtig legte Rainer die Hand auf die Zunge. „Gestern warst du noch ein Gerücht“, sagte er. „Und heute machst du schon deinen ersten Fehler.“

Was sagt ihr dazu?