„Es gab ein großes Chaos“, berichtete Platon. Er war zum Fernseher vorgetraten und hatte die Videokasette herausgenommen. „Die Reaktionen auf die Fernsehsendung waren enorm. Es war der Beginn einer langen Reise, könnte man sagen.“
„Es gab sehr viele weitere Auftritte in den Medien.“, erklärte Fledermann.
„Sokrates musste in vielen Interviews den Leuten ihre eigene Unwissenheit vor Augen halten.“
Platon ergänzte: „Und das war nichts, was die Leute mochten. Der Krieg hat die Leute unruhig gemacht. Niemand wollte miterleben, wie die klugen Köpfe der Nation im Fernsehen vorgeführt wurden. Das machte Sokrates gleichzeitig zu einem von den Medien hochgehaltenen Quotengänger und zu einer angsteinflössenden Figur. Politiker, Intellktuelle, Geistliche, Journalisten, mit ihnen unterhielt er sich, über was die Leute eben mit ihm reden wollten. Es war ein öffentliches Spiel. Die Regeln waren ganz einfach. Man stellte sich vor Sokrates und konfrontierte ihn mit der eigenen Meinung. Dann suchte man im verbalen Schlagabtausch mit ihm mithalten zu können.“
Fledermann lachte voller Hohn: „Meistens war es ein Werbefeldzug. Wenn ein Politiker wollte, dass seine Ideen schnell bekannt wurden, hat man sich mit diesen Ideen vor Sokrates aufgestellt und ihn möglichst provokant angegriffen.“
„Und das hat funktioniert?“, fragte Simon.
„Es hat funktioniert.“, nickte Platon. „Das Volk hatte schnell die Meinung des Politikers parat und während man sich auf die Diskussion mit Sokrates konzentrierte wurden einem die beiden Positionen auseinandergenommen. Man musste mitdenken und wurde, ehe man sich versah, zu einem passiven-aktiven Teilhaber der Interviews. Man stellte eigene Fragen, …“
„Genau das, was Sokrates wollte!“, rief Kay aus.
„Fast.“, erwiderte Fledermann. „Das Problem ist, dass er viele Antipathien auf sich zog. Das heißt, die Leute suchten krampfhaft nach Möglichkeiten, sich Sokrates Wirkung zu entziehen.“
„Oder sie schalteten ab.“, fügte Platon hinzu. „Die Quoten fielen nach einem halben Jahr.“
„Zurück blieb leider nicht, wie gehofft, die geistige Auseinandersetzung.“
„Zurück blieb nur das Negativ-Portrait eines alten Mannes.“
„Den man jetzt zur Rechenschaft ziehen möchte.“, beendete Kay den Gedankengang.
Platon nickte düster. „In ein paar Jahren habe ich Bücher über ihn geschrieben. Dann wird die Wahrheit ans Licht kommen.“
Fledermann lachte, aber Platon ließ sich nicht beirren:
„Der Name Sokrates wird länger währen als sein Ruf, das verspreche ich euch.“
„Lass das mal fünfzig Jahre dauern.“, spottete Fledermann.