Wo es vorher zwar anstrengend aber gemütlich zuging, war es jetzt nur noch anstrengend. Wir rannten was das Zeug hielt und in Gedanken malte ich mir aus, was ich tun würde, wenn ich Toni dabei über den Weg rennen würde.
Sie hatte sich wirklich nicht verändert. Schon immer war ihr nie die Grenze klar, wo ein guter Streich aufhörte und der große Ärger begann.
Als ich einen Seitenblick auf Silvy warf, las ich ihr in den Zügen ab, dass sie sich nicht weniger ärgerte. Sie glühte regelrecht. Und ihre Stimme zitterte, als sie atemlos „Verflucht dumme Kuh“ sagte.
Ich sah, dass sie vom Laufen Tränen in die Augen bekam.
Wir beeilten uns so schnell wir konnten. Und als wir keine Luft mehr bekamen, sagte ich einfach nur: „so viel Blut.“ und wir rannten noch einmal so schnell.
Wir fanden Toni nicht. Und wir überholten auch keinen. Erst auf den letzten Metern sahen wir den Typen vor uns. Jemand rief bei unserem Anblick sofort nach dem Lehrer. Wir sahen schrecklich aus. An unseren Händen klebte Blut und wie Silvy mir später zeigte, hatte ich mir auch beim Laufen versehentlich einen roten Streifen quer über die Stirn gestrichen.
Silvy brachte keinen Laut mehr heraus. Sie fiel geradezu auf die nächstbeste Parkbank. Mir gelang es zwar nicht, die ganze Geschichte zu erzählen. Aber die Eckdaten genügten bereits. Der Rest, die Sache mit Toni und dem Baumstamm, den Schulzentrumspackos und den Kastanien, das hatte Zeit bis später.
Die Klasse sollte sich eigenverantwortlich wieder auf den Rückweg machen und unser Lehrer radelte panisch in den Wald hinein mit einem roten Medizinbeutel im Gepäckträger. Silvy bewegte sich kein Stück und so blieb ich bei ihr.
Als wir wieder allein waren, begann sie auf einmal zu weinen. Sie schluchzte ihre Angst in meine Schulter hinein und ich hielt sie fest, spürte ihren bebenden Körper, der sich am liebsten in meinen hineingeschoben hätte. Ich legte fest beide Arme um ihren gekrümmten Rücken und hasste mich dafür, dass mein spontaner Gedanke war: Ich bin immer für dich da, Silvy.
Laut sagte ich: „Es wird alles gut.“
Und sie sagte: „Das hast du jetzt geraten.“
„Sonst gibt es nichts zu sagen: Es wird alles gut.“
Sie schluchzte noch mehr. Aber ich spürte, dass ich Recht hatte.
„Hey: er ist nur leicht verletzt.“, sagte ich und wir standen irgendwie auf.
„Hast du die Wunde gesehen.“
„Klar.“, log ich. „Wenn dir an der falschen Stelle die Haut aufplatzt, blutest du wie ein Schwein. Das weiß doch jeder. Alles viel harmloser als es aussieht.“
„Ruft er den Krankenwagen?“
„Er hat ein Walkie Talkie dabei.“, sagte ich. Das hatte ich wirklich gesehen. Er hatte es immer dabei, weil Handys in unseren Wäldern keinen Empfang haben. Er wird sich das ansehen und sofort den Krankenwagen rufen, wenn es notwendig ist.“
Den Rest gingen wir schweigend.
Es war ein Weg, der teilweise auch durch den Wald führte, aber nicht so umständlich gewunden war wie unser Laufweg. Die anderen gingen garantiert über die Hauptstraße und die Dörfer. Aber wir wollten unsere Ruhe. Wir wollten nicht angesprochen werden, keine dummen Fragen hören, kein Gerede.
Der Wald und dieser unfassbar dichte Nebel, der die Sicht nach wenigen Metern raubte.
Um uns herum blühte der Herbst in den knalligsten Farben.
Und wir starrten nur auf die Schritte vor unseren Füßen und begannen schon nach wenigen Metern vor Nässe und Kälte zu frieren.
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