Der reine Vernichter – Essay

Die Destruktion hat Konjunktur.

Wir rutschen in die Zeit der Destruktion hinein, sind vielleicht sogar schon in ihr. Wir erkennen in der Destruktion das Konstruktive. Und ein neuer Protagonist hat die Weltbühne betreten: der Vernichter des Vernichtens Willen.

Es gab vorher schon Vernichter. Solche, die die Welt abreißen wollten, niederbrennen bis auf die Grundfesten, um eine neue Welt darauf zu erbauen. Aber diese Art der Vernichter, die man visionäre Vernichter nennen mag, sind inzwischen selbst vernichtet worden. Von der Zeit unter die Erde gebannt, zu Staub und Stein verkommen. Sie sind Geschichte geworden, und auf den von ihnen geschaffenen Ruinen, haben kommende Generationen weiter gebaut.

Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein.
Wo itzund Städte stehn, wird eine Wiese sein
Auf der ein Schäferskind wird weiden mit den Herden.

Ein Teil des barocken Kreislaufs sind sie geworden. Und mit ihnen das Visionäre, wie es scheint.

Ach, die letzten Jahrzehnte waren recht ruhig. So ganz ohne Visionen, eingebettet und –gelullt in ein Alltagsgeflecht, das keine Zeit zum Denken über Grenzen hinweg gelassen hatte, weil man dieser Art des Denkens keine Zeit zu geben brauchte. Es war eine freie Entscheidung in unserer Kultur, dass man den Stein des Sisyphos nicht nur jeden Morgen den Berg hinaufschob, sondern sich mit der Absurdität dieses unendlichen Arbeit auch noch identifizierte. Und wir entschieden uns dafür, beruhigt davon, dass es Randexistenzen gab, die immer wieder mit ihrer Lebenseinstellung und ihrer Kunst, ihrer provokanten Mode, ihrer Musik, ihrer Lautstärke gegen diese Alltäglichkeit und ihrem innewohnenden Nonsens tobten.

Aber jetzt siehe sich doch einmal einer das Heute an. Da sind Menschen aus den ärmsten Vierteln in Frankreich, den sogenannten Banlieus, die aus Protest gegen die Obrigkeit – das Regime, die Elite – ihre eigenen Autos anzünden. Das ist, als würde man sich selbst ins Fleisch schneiden, um gegen die Ungerechtigkeit, die einem von einem anderen zugefügt wird, zu protestieren. Wir sehen Menschen, die nicht nur bereit sind, andere in die Luft zu sprengen, sondern darüber hinaus auch sich selbst. Wir sehen Menschen, die mit Lastwägen in Menschenmengen fahren, um willkürliche andere Menschen zu töten.

Es gibt keinen Sinn dahinter, keine echte Vision. Es gibt nur die Destruktion. Das ist neu. Auch wenn man immer wieder betont, dass das Wort „terreur“ alt sei.

Wir sehen Politiker, die lieber keine Politik machen als falsche und das erfolgreich inszeniert nach lange abgehaltenen konstruktiven Gesprächen.

Wir sehen Politiker, die ihre Entscheidungen lediglich auf der Grundlage von Antipathien treffen, statt von rationalen Gründen.

Deshalb wird vielerorts von der Einkehr des Emotionalen in den Räumen der Rationalität geredet. Wir sind das Zeitalter des Postfaktischen, weil man Misstrauen gegenüber der Forschung hat. Misstrauen und Jähzorn, Wut, Verbalattacken, das tobende Ausrufezeichen statt des entschleunigenden Semikolons. Die Medien werden beherrscht vom Protagonisten des Zukurzgekommenen. Das ist ein immer lauter werdender Typ, der sehr viel mit dem berühmten HB-Männchen aus der Vergangenheit zu tun hat. Er ist short-tempered, dünnhäutig, er ist mit nur einer einzigen Linie gezogen und diese Linie verbindet ihn mit der kompletten Welt. Es ist fast, als dass wenn er in die Luft geht, die ganze Welt mit ihm explodiert. Er ist farblos. Er ist ein Jedermann. Er ist eine Hintergrundfigur, durch die man durchschauen kann. Und er ist gleichzeitig so weiß wie eine Leinwand, als auch das Kolorit unserer Zeit. Fast ist es schade, dass es ihn heute nicht mehr in der Werbung gibt, sondern dass er der ist, der heute auf der Couch sitzt.

Der visionäre Vernichter hatte wenigstens ein Ziel. Er erfreute sich am Brand, weil er die Asche kaum noch erwarten konnte.

Der reine Vernichter schätzt das Chaos, das entsteht, weil er die Ordnung, die ihn umgibt, nicht auszuhalten scheint.

Man hört auch immer wieder, dass er als „Böse“ bezeichnet wird. Und die Intellektuellen warnen davor, dieses Wort zu verwenden. „Böse“ und „Monster“, das würde davon ablenken, dass die Terroristen auch nur Menschen sind und deren Taten Symptome sind für ein Elend an einem anderen Ort auf der Welt. Man warnt, dass wir hier einen Schmerz zu spüren bekommen, der auf einen Bruch andernorts hinweist. Das ist nicht „böse“ oder „monströs“, das ist eine menschliche Ursache, und daher durch menschliches Werk zu beheben. Wir müssen, so das konservative Libertär, mit Respekt und nicht mit Wirtschaftsgedanken, den Rest der Welt befrieden.

Aber dieser Rest der Welt ist stärker geworden.

Dem Libertär schreit, tobt, wütet cholerisch der Reaktionär entgegen und zwischen beiden zerreibt die Gesellschaft und lässt den reinen Vernichter erblühen.

„Das wahre Böse“, schreibt Zizek, „kreist um die Selbstsabotage. Es lässt uns gegen unsere eigenen Interessen handeln.“ (S. Zizek: „Die blut-dunkle Flut bricht los“)

Der reine Vernichter ist sehenden Auges bereit, auf Visionen zu verzichten. Er möchte nichts erschaffen. Er möchte auch nicht die Abkürzung auf ein besseres Jenseits. Das Primäre ist die Selbstsabotage. Denn sie ist der letzte positive Akt, deren sich der Vernichter im Stande fühlt.

Er möchte aktiv sein und fühlt sich in eine Welt der Passivität geworfen. Er sagt: „Warum soll ich wählen gehen, ich kann eh nichts ändern.“ Er ruft: „Warum soll ich demonstrieren gehen, ich bin eh einer von vielen.“ Er brüllt: „Es gibt die da oben“ und er meint damit „die Täter“, „und es gibt uns hier unten“ und er meint „die Opfer“. Er kreischt „Ich habe kein Zukunft“ und sieht eigentlich nur die Gegenwart. Er tobt: „Was soll ich tun?“ und vernichtet, vernichtet, vernichtet.

Wir sind nicht postfaktisch.

Wir sind postvisionär.

Und wer sich nicht hilflos fühlen möchte, der bleibt entweder im Alltag, entwickelt Visionen oder, wenn ihn der Alltag nicht stumpf genug macht und ihm der Geist für Visionen fehlt, wenn ihm das Vertrauen in die Visionären fehlen und er lieber selbst aktiv sein möchte, dann geht er eben den dritten Weg.

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