Roxxy Foxx (1/3)

„Nein, Ted: Iss nie dein Steak, wo du die Kuh geschlachtet hast. Aber danke, dass du dir Sorgen um mich machst. Das ist so … fucking süß!“

Sie legte auf.

Kichernd steckte sie das Handy wieder in die Hosentasche, schloss die Tür des Studios hinter sich zu und blieb dann doch noch einmal irritiert stehen, als sie gerade über den Parkplatz zum Auto gehen wollte. Etwas stimmte nicht. Roxxy Foxx hatte dieses untrügliche Gefühl, das sich so anfühlte wie ein weit entfernt hörbarer Alarm.

Das Studio lag dreißig Kilometer außerhalb der Stadt in einem kleinen verschlafenen Nest namens Schwarzholz. Keinholz hätte besser gepasst, dachte sie. Außer ein paar uralten, baufälligen Häusern und einem Industriegebiet mit ganz viel leeren Containerhöfen gab es in dieser Gegend gar nichts. Selbst der Ausläufer des Waldes war so heruntergekommen, dass man kaum mehr als ein paar Krüppelbäume auf einer depressiv anmutenden Braunfläche sehen konnte.

Aber das tolle an Schwarzholz: Niemand kannte Roxxy Foxx. Hier gab es kaum Internet und noch weniger Jugendliche, die sich ihren Channel reingezogen hätten. Hier konnte sie ein und ausgehen, wie sie wollte und musste nur aufpassen, dass sie ihre „Jobklamotten“ im Studio ließ.

Bei dem Gedanken machte es Klick. Sie seufzte und kehrte noch mal zurück. Sie war aber auch ein Dummerchen. Vier Stunden Arbeit vor der Kamera, wiederholter Dreh von immer den selben dämlichen Szenen. Natürlich konnte man da was vergessen. Aber sie gönnte es sich nicht, weil sie es hasste, wenn Fehler passierten.

Der ganze Tag heute war ein einziger Fehler.

Das Studio sah nachts besonders trostlos aus. Man wollte sich gar nicht vorstellen, dass hier Träume gebaut wurden. Eigentlich war es ja auch nichts als eine große Lagerhalle mit einem aus Pressholz gebauten Raum, der innen so schön dekoriert war, dass er als echtes Schlafzimmer durchgehen konnte, wenn man nur eine halbwegs vernünftige Webcam draufrichtete. Wichtig waren das Bett, der türlose Kleiderschrank mit den meist knallroten Klamotten und die kindlich naiv verspielte Tapete, die eine Mischung war aus Ikea-Jugendzimmer, Barock und Kleinmädchen-Einhorn-Fantasien. Ein paar kleine Dekorfigürchen zum Bildabrunden und fertig.

Roxxy Foxx’ megageiles Filmstudio zum Tausenderverdienen durch einfaches Reden über Sex.

Ich bin die moderne Doc Bravo, dachte sie und angelte ihren vergessenen Mantel von der Stuhllehne hinter dem Schneidepult.

So lange es Jugendliche gab, die den Unterschied nicht kannten zwischen einem romantischen Abendessen bei Kerzenschein und einer Menage a trois, so lange hatten Geschäftsfrauen wie Roxxy Foxx, oder Svenja Klein, wie auf ihrem Ausweis stand, Arbeit.

Der Unterschied zwischen Believe und Make-Believe war ein billiger, schwarzer Push Up, der alles in Szene setzte, was man hatte und eine blonde Perücke, die alles versteckte, was die wahre Svenja Klein ausmachte. Und dann noch eine Kamera, einen Channel und ein paar aufreizende, doppeldeutige Überschriften.

Highlights ihrer Sendung waren, neben ernsthaften Diskussionen mit Fans über das erste Mal, ein halbe Stunde lang Reden darüber, wie man durch einen Kuss herausfinden konnte, ob man wirklich verliebt war und eine fragwürdige Folge, bei der noch bis in alle Ewigkeit darüber gerätselt werden würde, ob Roxxy Foxx nun während des Drehs live von einem unsichtbaren Mann unter der Kameralinie befriedigt wurde oder ob sie einfach nur eine fantastische Schauspielerin war, die unglaublich gut mit den Augen rollen konnte.

Normalerweise wäre sie längst aus Jugendschutzgründen gesperrt worden. Aber wenn man die Tricks beherrschte und einfach nie über Sex redete, sondern übers Glücklichwerden, konnte einem keiner was.

Herrin des Glaubenmachens, nannte sie sich. Denn darum ging’s im Business: die Zuschauer musste man glauben machen, dass sie etwas sahen, was gar nicht stattfand.

Früher nannte man solche Leute Zauberer oder Illusionisten. Aber wer ging heute noch für einen Zauberer in den Zirkus? Alle starrten doch ohnehin nur auf die vollbrüstige Frau, die gleich in der Kiste zersägt werden würde.

Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken. Es läutete, als sie gerade zum zweiten Mal auf dem Weg zur Tür war. Sie blieb stehen, um dem Anrufbeantworter zu lauschen.

Es war Lionel Richie. Er sang:

When we are together
The moments I cherish
With every beat of my heart
To touch you, to hold you
To feel you, to need you
There’s nothing to keep us apart
You’re once, twice
Three times a lady
And I love you! Yes I do.

Roxxy lachte.

„Idiot.“, sagte sie laut, weil sie wusste, dass er sie nicht hören konnte. Und dann war Ted am Apparat:

„Hey Lady. Ich weiß, wir haben gerade miteinander telefoniert. Und ich weiß, du bist jetzt im Auto auf dem Heimweg und beeilst dich, zu mir zu kommen. Du weißt, dass ich mir immer Sorgen um dich machen werde, weil du so weit ab vom Schuss bist und du weißt, dass ich mir die Sorgen nur mache, weil ich so verdammt verliebt in dich bin.“

„Süßer Hund.“, sagte sie und spielte mit dem Gedanken ans Telefon zu gehen und ihn zu erlösen.

„Wenn du das hier abhörst, ist es schon morgen früh, nicht wahr?“, das war der Grund, warum sie nicht dran ging, sondern sich mit dem Rücken an die Wand lehnte und weiter zuhörte. „Du bist schon zu Hause angekommen, hast mit mir zu Abend gegessen und wir haben … herumgealbert. Und dann bist du in meinem Arm eingeschlafen und heute Morgen einfach aufgestanden, ohne mich zu wecken. Merkst du was? Du bist doch berechenbar.“

„Bin ich nicht.“, säuselte sie.

„Uh, wie lange hab ich eigentlich Platz auf diesem Band, bis die Piepstimme sagt, dass der Speicher voll ist?“

„Du solltest wohl zum Punkt kommen, Schatz.“, rief sie in die menschenleere Halle.

„Ich komm dann besser mal zum Punkt. Lady: Ich liebe dich! Und ich will dich …“, Piep. Eine vollkommen unromantische Frauenstimme sagte grob: „Der Speicher ist voll.“ Und dann erlöschte der Anruf und statt seiner ging ein rotes Lämpchen an.

Roxxy lachte.

Sie hatte keine Ahnung, was Ted wollte. Von Hochzeitsantrag bis „heute Abend wieder mit dir in die Kiste steigen“ war alles drin. Das war das schöne an Ted. Er war so herrlich unkompliziert und sein Repertoire reichte von purer Romantik bis zu vulgärer Direktheit.

„Da werde ich mich morgen früh aber freuen, wenn ich höre, dass du irgendetwas willst, Ted. Na? Rufst du noch mal an? Ich versprech’ dir auch, dass ich dann drangehen werde.“

Aber nichts geschah. Ted rief nicht an, wieso auch?

„Nacht Ted, bis gleich.“, rief sie über die Schulter dem Telefon zu und verließ zum zweiten und diesmal endgültig letzten Mal für heute Abend das Studio.

Als die kühle Abendluft sie empfing, bereute sie es, dass sie nicht abgenommen hatte und Ted den Spaß verdorben hatte. Wenn es eine Sache gab, die zu Roxxys Schwächen gehörte, dann war das Neugier. Sie war so irre neugierig, dass es sie fast zerriss, nicht zu wissen, wie Ted den Satz hatte zu Ende sagen wollen.

Weil du insgeheim doch darauf hoffst, dass es ein Antrag war?

Wieso sollte es ein Antrag sein?

Anträge hatten bestimmt so was wie eine Vorlaufzeit. Ein vorsichtiges Herantasten, Signale, Nervositäten und kleine Stellen im Alltag, woran man merkte, dass er mit den Gedanken eigentlich ganz woanders war. Und all das hatte es in den letzten Monaten nicht gegeben. Alles war ganz normal und wie immer. Übers Heiraten hatten sie eigentlich nie wirklich gesprochen. Und das, obwohl sie jetzt schon seit über zwei Jahren zusammen waren und bestimmt schon auf einem Dutzend Hochzeiten anwesend gewesen waren. Nein, die Zukunft war grundsätzlich kein Gesprächsthema bei beiden gewesen.

Beim Einsteigen läutete in Roxxy noch einmal die Alarmglocke. Diesmal aber so weit entfernt, dass sie es kaum wahrnahm. Sie bekam eine Gänsehaut und fälschlicherweise interpretierte sie das als eine Reaktion auf die kühle Luft.

Als sie mit ihrem Seat Arona vom Parkplatz auf die Straße bog, spritzten hinter ihr die Kieselsteine unter den beschleunigenden Reifen.

Sie drehte die Musik laut auf, damit sie ihren eigenen Gedanken nicht zuhören musste und bemerkte nicht, wie hinter ihr aus einer dunklen Nische zwischen den Bäumen vom Straßenrand ein zweites Auto losfuhr. Sie bemerkte es nicht, weil es die Scheinwerfer ausließ.

Roxxy drehte „Feel it still“ von Portugal the man laut auf und sang mit. Sie kannte den Weg auswendig. Das war sein Segen, wenn man überarbeitet und müde war.

Und ein Fluch, wenn es kleine Dinge gab, die heute Abend anders waren als sonst. Dinge, die ihrer Aufmerksamkeit komplett entgingen, an die sie sich aber später erinnern würde und sie würde denken: ich hätte es verhindern können!

Die kleine rote Lampe im Armaturenbrett.

Das Zischen, das sich zwischen Motorengeräusch und Musik in der Luft bewegte.

Der neue, unangenehme Geruch im Wageninnern – leicht säuerlich.

Am deutlichsten aber: dass der Speicher ihres Players eigentlich den zuletzt gespielten Song von vorne hätte abspielen müssen. Und heute Morgen hatte sie noch lauthals Bauser gesungen: Was du Liebe nennst. Sie hatte noch gedacht: „Du frauenfeindlicher Drecksack! Vielleicht sollte ich mal einen Clip über Liebeslieder machen. Und ich werd dich dabei in der Luft zerreißen, mein Guter.“

Da hätte es ihr eigentlich auffallen müssen.

In ihrer Songliste war Feel it still fünf Lieder von Bauser entfernt.

Gute zwanzig Minuten.

Fast genau die selbe Zeit, die es dauerte, bis der Wagen hinter ihr schlagartig auf Fernlicht wechselte und sein Spiel mit Roxxy Foxx, Meisterin des Makebelieve, begann.

(…)

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