Über deutschen Humor kann man lachen

Gleichgültig, wen auf der Welt wir fragen, wenn es um Humor geht, sind sich alle einig: Jedes Land ist humorvoller als Deutschland. Wir könnten zwar lachen, heißt es, aber unsere Witze seien kompliziert und angestrengt. In Asien lache man viel öfter, selbst wenn etwas überhaupt nicht witzig ist, damit bekundet man Sympathie und gut fühle sich das Lachen auch noch an: ein klares Win-Win. Es gibt Kulturen, die ihr historisches Elend mit Humor besser ertragen. Das Jüdische gilt als solche Kultur. Witze entstehen dort durch das Absurde. Das Chaos der Welt wird federleicht über unseren Köpfen, wenn man es pointiert ausformuliert und durch das Darüber-Lachen akzeptiert.

Die Briten etwa lachen vorzugsweise über sich selbst. Wenn jemand auf der Bühne sagt: Hand aufs Herz, wir Engländer sind „ugly as fuck“, gröhlt der Saal vor lachen, vorausgesetzt, der Comedian selbst war Brite.

Nur wir, das DichterdenkerLand, mit der Sprache, die selbst für Russen wie verbalisiertes Würgen klingt, ergeben uns in barthartige Klischeewitzkultur oder jammervolle Gespräche wie dieses hier, dass wir nicht komisch sind.

Dazwischen liegen Didi Hallervorden, Heinz Ehrhardt, Loriot und Böhmermann: naive Schusseligkeit, liebevoller Wortwitz, blankgeputzte Charakterspiegel und Zerrspiegel, die witzig werden, wenn sie mit Blankspiegeln verwechselt werden.

Humor befreit. Wenn die Schüler über Lehrer lachen, heben sie das Machtgefälle auf und lösen Spannung und Druck in Häme und Spott auf, anstatt vor überbordendem Respekt in Depressionen zu fallen. Oder gar auszubrennen.

Wenn die Pflegekraft über den Chefarzt scherzt, dreht sie das bestehende Machtverhältnis um und löst gesellschaftlich relevante Ketten und Strukturen im Spiel auf, macht den Halbgott wieder zum Menschen.

Wer keinen Humor hat, wird zwar hierarchiefolgsam aber auch steif und reaktionär.

Humor entsteht entweder durch das Zusammentreffen von Unerwartetem, einem Aufbau und einer Nichteinhaltung von Ereartungshaltungen:

Treffen sich zwei Jäger. … Beide tot.

oder durch die Beschreibung einer vollkommen alltäglichen Szene aus unerwarteter, ungewöhnlicher Perspektive:

Sie putzen sich jeden Tag die Zähne, nicht wahr? Und sie wissen gar nicht, dass das, was sie da tun, eine verdammt große Sache ist! Ihr Leben läuft halt normal. Wasser aufdrehen, Zahnpasta auf die Tube, ab in den Mund, putzen, ausspucken, ausspülen, Zahnbürste säubern. Fertig. Eine Choreographie der Perfektion, routiniert, erfüllt vom schnörkellosen Glanz puristischer Reinheit. Für sie. Für mich ist das Badezimmer ein Kriegsschauplatz ähnlich der Eroberung der Normandie. Ich habe Kinder.

In den Augen der Welt haben wir es verlernt, die Außenperspektive einzunehmen. Wir stecken drin in der Szene und sind so Befindlichkeitsfixiert, dass uns gar nicht mehr auffällt, wie albern normal wir eigentlich sind.

Unsere Alltagswelt funktioniert so reibungslos und perfekt. Wenn es auf dem Schild heißt, der Bus komme um 8:07, dann steht der Bus um 8:07 da und keine Minute später. Auch wenn das bedeutet, dass der Busfahrer mit hochrotem Kopf nach einem kleinen Innenstadtrückstau durch die engsten, verstopftesten Stadtstraßen breittrete, siebenundzwanzig Verkehrsregeln bei einem einzigen Überholmanöver und zwölf Arztanweisungen wegen eines drohenden Herzinfarktes bricht, nur um die eine wartende Frau an der Haltestelle einsteigen zu lassen. Für diese Frau hat der ältliche Busfahrer beinahe einen Radfahrer zwischen die Hinterräder gezwängt, zwei Schulkinder vom Zebrastreifen gejagt, einer Straßenbahn die Vorfahrt genommen und an einer windschiefen Fußgängerampel den Seitenspiegel am Straßenrand liegen lassen. Wenn sie um 8:07 Uhr einsteigt, wird die alte Dame ihm trotzdem im ernstesten Tonfall mitteilen, dass seine Anzeige nicht lesbar sei und man nicht wissen könne, ob er der echte 8:07 Uhr Bus sei.

Und niemand lacht über die so eindeutig vorliegende Komik. Busse sind nicht witzig. Und Pünktlichkeit erst Recht nicht. Der Fall sei konstruiert oder lächerlich übertrieben. Wenn eine Anzeige nicht lesbar sei, was soll man darüber anderes empfinden, als echten, deutschen Frust?

Tatsache ist, dass Funktionieren nie als Komik empfunden wird. Funktionieren ist zu einer deutschen Kardinaltugend emporgestiegen. Zu einem elften Gebot, vielleicht sogar zur Zusammenfassung aller Gebote, zur gegebenen Antwort bei der modernen Bergpredigt.

Und weil wir übers Scheitern aufgrund unserer Erziehung nicht lachen dürfen, lachen die echten Außenstehenden eben über uns. Wir sind die, deren Funktion es ist, zu funktionieren. Und wer nicht funktioniert, ist kaputt, muss pathologisiert werden, medizinisch eingestellt. Kreativität und Andersartigkeit wird bewundert, haben aber nur die Anderen.

Auf einem Straßenfest lief ein geschätzter 9 Jahre alter Junge hinter einem geschätzt gleichaltrigen Mädchen mit Kopftuch her. In der Hand wedelte er mit einer Scheibe Wurst. Mit den Worten „Schweinefleisch – Schweinefleisch“ jagte er sie kreuz und quer zwischen den feiernden Erwachsenen hindurch. Sie hatte irre Angst davor, von der Wurst berührt zu werden.

Was unfassbar viel Potential für einen ganz einfachen Humor hat, wird hierzulande, heutzutage nur als Aufhänger für kulturpolitische Parolen benutzt.

Wissen Sie was? Kinder weichen dem Druck der Kultur durch Spiele aus. Sie verschaffen sich Befreiungsschläge durch das Spiel, das nicht böse gemeint war, sondern lustig. Hätte der Junge das Mädchen verachtet, er hätte sie nicht mit einer Scheibe Sündenwurst gejagt, er hätte sie mit schmerzhafter Ignoranz bestraft.

Die einzige, die bei besagter Szene übrigens lachte, war das Mädchen selbst. Außer Atem hätte sie sich am Ende der Jagd gerne zu ihm gesetzt und mit ihm die mitgebrachte Baklava geteilt. Beide wurden aber ehe es zum entsetzlichen Kulturfrieden kam von beiden Seiten zurück zu ihren Familien gezerrt und mit der Lehre konfrontiert: Das ist nicht witzig. So funktioniert das nicht. Benimm dich gefälligst.

Was sagt ihr dazu?