Waffeln

Erschöpft ließ sie sich neben mich auf die Couch fallen und dann atmete sie erst einmal tief durch.

„Immer vorsichtig sein, was man sich wünscht.“, bricht es aus ihr heraus. Und ihr Kopf legte sich auf meine Schultern.

„Was meinst du?“, fragte ich.

„Erinnerst du dich noch an unsere Studentenzeit? Da gab es so ein Jahr, da haben wir immer Grey’s Anatomy geschaut. Erinnerst du dich noch an meine Lieblingsfigur?“

„Izzie.“, antwortete ich blitzschnell.

Und dann sagten wir fast gleichzeitig: „Die Muffins.“

Immer wenn diese Figur, die junge Assistenzärztin Izzie, sich unter enormem Stress fühlte oder panisch war oder sonst wie emotional belastet, ging sie in die Küche und backte wild darauf los. Natürlich gab es Folgen, in denen das ganze Haus in Backwaren regelrecht versanken und meine Frau bekam glühende Augen und Lust, es der Figur nachzutun.

Ich wär gern so, hatte sie mir damals verraten und dann von jetzt auf gleich die Initiative ergriffen und ein eigenes und ganz persönliches Backbuch erstellt. Sie schwärmte mir immer davon vor, wie es eines Tages sein würde, wenn wir einmal Kinder hätten und sie Mitten in der Nacht wild darauf los backte, um den Stress zu bewältigen.

Als sie jetzt ihren Kopf an meine Schulter legte und die inzwischen tatsächlich geborenen Kinder durch die Wohnung rannten, schnupperte ich und genoss den Geruch von Waffelteig.

„Zauberwaffeln.“, sagte ich.

„Klar.“, seufzte sie.

Mit ihrem Waffelrezept kann sie zaubern. Inzwischen sind die Waffeln der letzte Strohhalm, die allerletzte Superwaffe, der PowerLaserPhaser im Kampf gegen die Vorschulpubertät.

Den ganzen Tag war unsere Tochter unfassbar unausgeglichen gewesen, so als ob die Emotionen von stürmischen Winden in alle Himmelsrichtungen gepeitscht wurden. Sie hatte eine Freundin zu Besuch gehabt und sich im Kindergarten den Fuß ein wenig aufgeratzt. Das bedeutete abwechselnd unbändige Freude und abgrundtiefste Empfindsamkeit. Sie spielten so lange friedlich, bis sie schlagartig ausrastete, kreischte, schrie, unzufrieden wurde, in ihr Zimmer verschwand, ein paar Sekunden später wieder auftauchte und lachte und gluckste und sich das nächste Spiel ausdachte.

Für uns als Eltern war es anstrengend. Wie muss es erst für sie gewesen sein mit all diesen Gefühlen, die da tobten und um die Vorherrschaft rangen. Am Ende war die Freundin allerdings abgeholt und alles was übrig blieb war ich mit zuckender Augenbraue und eine Mutter mit knirschenden Zähnen und dazwischen eine Badewanne voller Schaumwasser.

„Das brennt.“, beharrte sie.

„Es ist Wasser.“, sagte ich. „Wasser brennt nicht.“

„Es ist Seifenwasser. Seife brennt.“

„Nicht Kinderseife. Und nicht auf der Haut.“

„Die Augen sind offen.“, schrie sie. Und sie riss demonstrativ die Augen auf. „Und in offenen Augen brennt Seife. Hier, schau hin!“, sie hielt mir den Fuß entgegen. „Der Fuß ist auch offen. Da brennt die Seife auch drin.“

„Du gehst in die Wanne.“, beharrte ich frustriert. Und wir hatten einen dieser Momente, die man sonst nur aus Western kennt. Wenn sich die beiden Kontrahenten tief in die Augen sehen, man nur auf den Fehler des anderen lauert. Sie blinzelte kurz zur Tür, aber ich stürzte vor, schnappte mir ihren zappelnden Körper und hievte ihn ins Wasser.

Du musst ihre Gefühle ernst nehmen, hatte meine Frau mir kurz vorher noch gesagt. Und ich hatte es wirklich versucht. Das ganze Repertoire an „Ich weiß, dass es weh tut.“, „Nach dem Bad machen wir Salbe drauf.“ bis hin zu „Versuch es doch wenigstens erst einmal.“ Und jeder Satz war quittiert worden mit einem Geplärre, das mein Trommelfell inzwischen zum Zurückschreien gebracht hatte.

Ich bekam ihre zappelnden Beine natürlich ab, als ich sie ins Wasser setzte. Aber dann schnappte sie sich den kleinen Badeeimer und pfefferte ihn einmal quer über die Wasseroberfläche, dass ich einen klatschnassen Streifen auf dem T-Shirt hatte. Kurzerhand packte ich die Duschbrause und setzte an, sie nass zu bekommen.

Ein Arbeitskollege behauptet gern, die Hölle bestünde aus einer Aneinanderreihung von Finanzamtbüros, durch die man sich durcharbeiten lassen muss. Ich halte seit heute dagegen: die Hölle ist eine Badewanne mit Kindern, die nicht gebadet werden wollen.

Sie riss mir den Duschkopf aus der Hand und drehte ihn kurzerhand um. Ich riss ihn ihr wieder zurück aus der Hand und das Wasser strömte über ihre Haare. Ein Badetier flog mir ins Gesicht. Als ich wieder etwas sehen konnte, war sie aus der Wanne geklettert und stampfte mit den Füßen auf dem Teppich, damit sie nicht auf den Fliesen ausrutschen würde. Ich bekam sie nicht zu greifen und schon war sie auf dem Weg in die Küche. Ich war hinterher und hatte die irrwitzige Fantasie, diese Szene wäre gut geeignet als eine Verfolgungsjagd im Stil von Michael Bay und Jerry Bruckheimer.

Sie rannte schreiend vor mir weg, haarscharf an der Mutter vorbei und wieder zurück ins Bad.

Dort standen wir uns endlich wieder gegenüber.

„Du …“, drohte ich.

„Es – brennt! Und – du – glaubst mir nicht!“

„Ich glaub dir, dass es brennt.“

„Aber ich muss trotzdem baden!“

„JA!“

„Das ganze Leben ist so unfair. Immer ist alles so unfair.“, schrie sie. Ein kleiner, wütender Mensch mit mehr Gefühlen als alles andere.

Gerade wollte ich mich wieder auf sie stürzen, als meine Frau in der Tür auftauchte.

„Darf ich kurz?“, fragte sie sanft und schnaubend verließ ich das Badezimmer.

Es blieb eine Zeit erstaunlich still. Ein paar Mal hörte ich noch ein lautes „Nein!“ von meiner Tochter und als es dann wirklich mucksmäuschenstill war, setzte sich mein Sohn neben mich auf den Flurboden.

„Die schreit.“, stellte er fest.

„Jetzt nicht mehr.“, antwortete ich.

„Keine Angst, Papa. Mama macht das schon.“

Und dann kamen die zwei Frauen aus dem Badezimmer raus und alles war gut. Die Kleine wischte sich noch ein paar Tränen weg und die Badewanne rülpste ein wenig das Wasser nach unten in den Kanal.

„Was zum -?“, machte ich.

„Wir backen heut Abend noch Waffeln.“, sagte meine Frau.

„Zauberwaffeln. Ich darf den Teig rühren.“

Und als die Waffeln gegessen waren und meine Frau ihren Kopf an mich schmiegte und sich an Grey’s Anatomy erinnerte, seufzte sie und sagte noch einmal:

„Wenn ich gewusst hätte, was mein Wunsch damals für einen Stress bedeutet, hätte ich mir was anderes gewünscht.“

„Bist du still.“, sagte ich. „Ich liebe deine Waffeln.“

„Aber es ist so anstrengend.“

„Glaub mir, das Leben ist anstrengender ohne diese Waffeln.“

„Was machen nur die anderen Familien, die kein so gutes Waffelrezept haben?“, wollte sie wissen.

„Einfach nicht mehr die Kinder baden.“, schlug ich vor.

Sie nickte.

Ich wünsche jeder Familie fluffige Zauberwaffeln.

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