14 – Der Professor

Ohne Frage war der Zusatz „Professor“ kein offizieller Titel sondern Teil eines Spiels, das zwischen Sokrates und Platon entstanden war. Platon mochte noch keine fünfundzwanzig Jahre alt sein, schätzte Kay. Doch das Alter war kein Hinweis auf irgendetwas in dieser verkommenen Zeit. Alle Wohnzimmermöbel waren mit Büchern und Zeitschriften vollgestellt. Einzig ein kleiner Schreibtisch, der in einer etwas zurückgesetzten Nische Platz gefunden hatte, war akribisch leer geräumt, so dass eine einsame Schreibmaschine, ein Blatt Papier und ein Bleistift Platz darauf fanden.

Alle Fenster waren mit Jalousien verschlossen, so dass kaum Licht hereinfiel. Nur in der Küche, in der das kleine Fenster weit nach draußen geöffnet war, gab es ausreichend Tageslicht. Als Kay sich aus diesem Fenster beugte, blickte er über einen schmalen Teil des Daches nach unten in den Lichthof.

Der Professor kochte eine einfache Bohnensuppe, dabei redete er ununterbrochen in bester Laune darauf los. Er hatte aber, wenn er auch eine optimistische Natur war, keinen Hang, der ihn weg von der Ernsthaftigkeit führte. Jedes Wort, so schnell es auch von seinen Lippen purzelte, war wohl überlegt. Als er einmal von seinem Küchenwerk zu Kay und Simon aufsah, konnte Kay aus dessen Auge eine überbordende Intelligenz feststellen.

Platon selbst bezeichnete sich nicht als Professor, er lachte sogar abfällig darüber, als die beiden ihn so nannten. Er sei ein ewiger Schüler, sagte er. Sokrates hatte er vor ein paar Jahren kennen gelernt und sich sofort allen Unternehmungen des alten Mannes angeschlossen. Was es auch alles über Sokrates zu sammeln gab, erklärte er voller stolz, er besitze es. Der alte Mann weigere sich ja, auch nur ein einziges Wort zu Papier zu bringen, beschwerte Platon sich.

„Aber er hat sich nicht davor gehütet, sein Gesicht im Fernsehen und seine Stimme im Radio erscheinen zu lassen.“

Ja, es habe eine Zeit gegeben, kurz bevor die Tyrannei der 30 begonnen habe und natürlich erst Recht in dieser Zeit, in der Sokrates geradezu ein Liebling der Medien gewesen war. Er hatte den Weg in die Medien nicht gesucht sondern gefunden. Und natürlich war es niemand anderem als Pia Silbermann zu verdanken, die ja von der ganzen Stadt gelesen und damals sogar geliebt wurde, dass man Sokrates kennen lernte.

Zuvor sei Sokrates nur einer Elite bekannt gewesen. Er habe immer in der Öffentlichkeit gestanden, aber in der analogen. Erst mit dem Erscheinen in der digitalen Öffentlichkeit, sei aus dem Mensch Sokrates ein Produkt geworden.

Die beiden Gäste wunderten sich über Platons Formulierung, aber der weigerte sich, seine Worte zu erklären, weil das Essen fertig war. Sie nahmen Platz an einem engen Esstisch und auf unbequemen Holzstühlen. Danach wollte Simon wissen, wieso ausgerechnet Pia Silbermann so sehr hinter Sokrates her gewesen sein mochte.

„Die Menschen behaupten, sie habe ihn geliebt.“

„Den alten Mann?“, fragte Platon und in seinen Augen funkelte es. „Wartet mal einen Augenblick.“

Er verließ die Gruppe und kam nach ein paar Minuten mit einem Ordner zum Tisch zurück. Darin waren Zeitungsartikel über Sokrates. Der erste war überraschenderweise nicht von Pia Silbermann. Der Autor des Artikels hieß Fledermann. Mit einer Büroklammer hatte Platon eine Todesanzeige an den Artikel geheftet. Ehe sie ihn lesen konnten, erklärte Platon auch schon, dass Fledermann einer der ältesten und beste Freunde Sokrates gewesen sei. Er habe die Hälfte seines Lebens im Rollstuhl gesessen und sei ein schwerer Umgang gewesen; Platon blies die Backen auf, als er an Fledermann dachte.

„Ein solches Temperament findet man nur sehr selten auf der Welt.“

Genau wie ihr Freund Martin Heinsberger, habe Fledermann in London an der Universität unter der Legende George ‚gedient’.

„Und dieser Artikel von Fledermann …?“

„…ist die erste Äußerung, mit der Sokrates hier im Land einen Namen bekam. Darin wird Sokrates als eine herausragende Person beschrieben. Er sei voller Wortgewalt, möchte ich mal sagen. Und es gäbe niemanden, wirklich niemanden, der Weise sei als Sokrates.“

Simon hatte den Artikel überflogen und die von Platon angesprochene Stelle gefunden.

„Fledermann zitiert diesen Satz.“, stellte er fest.

„Ja“, sagte Platon düster. „Fledermann hatte einen sehr eigensinnigen Humor.“

Anstatt darauf aber einzugehen, besorgte Platon noch einen zweiten Ordner. Diesmal war es ein Sammelsurium von Fotografien. Indem er mit dem Zeigefinger auf abgebildete Personen deutete, erzählte er sehr lebhaft die ein oder andere Anekdote. Es war eine große Anzahl an Personen und Kay und Simon verloren schnell den Überblick. Platon zwinkerte, auch er müsse zuweilen überlegen, welche Rolle der ein oder andere in all den Jahren gespielt habe. Auf den meisten Fotografien war Sokrates. Er stand selten im Mittelpunkt der Bilder. Zum ersten Mal fiel Kay auf, dass Sokrates seine Gegenüber nie direkt anblickte. Aber den vielen Männern und Frauen, mit denen er in Gespräche vertieft war, sah man die Faszination an, die er auf sie ausübte.

Simon nannte die Gesprächsteilnehmer aufdringlich und als Platon nachfragte, sagte Simon, dass man ja gar nicht mehr atmen könne, wenn so viele Menschen ständig um einen rumstehen.

Platon lachte. „Und dabei ist Sokrates tief in seinem Inneren ein zurückgezogener Mensch.“

„Wohl kaum.“, meinte Kay.

„Wohl doch. Früher, als alles noch nicht so schlimm war, als die Presse noch kein Auge auf ihn geworfen hatte, liebte er lange und einsame Wanderungen. Er hat allerhöchstens einen Freund oder vielleicht einmal seine Frau mitgenommen. Er hätte tagelang einfach nur Wandern können. Am liebsten auf Berge, wo man sich einen großen Überblick über die Landschaft verschaffen kann.

„Zu mir hat er immer gesagt, er wolle lernen, mit Menschen umzugehen.“

„Sicher, dass er nicht gesagt hat ‚Menschen auszuhalten’?“

In diesem Augenblick klopfte es und jemand räusperte sich laut und rief Platons Namen.

„Oh, Besuch. Einen Augenblick. Heute geht es hier zu wie in einem Vogelschlag.“

Er schälte sich aus der engen Küche nach draußen. Aber anstatt zur Haustür zu gehen, wandte er sich nach links in Richtung Wohnzimmer. Kay stand verblüfft auf und blickte Platon hinterher, der im Wohnzimmer ein Fenster zu einem Balkon öffnete, um einem alten Mann den Einlass zu ermöglichen.

Die beiden Männer umarmten sich herzlich und Platon stellte dann den Neuankömmling als seinen Nachbarn vor, mit dem er einen Balkon teilte.

„Darf ich vorstellen. Karoll Fledermann. Ja, ihr habt richtig gehört. Kein geringerer als Karl Fledermann Bruder.“

„Zwillingsbruder.“, bestätigte Karoll. Der Alte hatte ein sehr herzliches Gemüt. Er war beinahe ununterbrochen mit seinem faltigen Mund am Lächeln. Und wenn die Lippen sich bewegten, war es, als setzte sich jede Falte seines Gesichts in Bewegung. Er hatte eine leicht gelbe Hautfarbe und auch das Weiß seiner Augen sah ungesund getrübt aus. Aber die Pupillen waren noch kräftig und der Blick aus ihnen intensiv. Seine Bewegungen waren rasch und ohne den Anflug eines alterbedingten Zitterns. Nachdem Fledermann sich von Platon erzählen ließ, um wen es sich bei den beiden jungen Besuchern handelte, fing Fledermann auch prompt zu schwärmen an.

„Sokrates“, erzählte er. „ist ja wohl der angenehmste Träumer dieses Zeitalters.“

Platon widersprach natürlich sofort und tat erschüttert, seinen Mentor Sokrates einen Träumer zu nennen. Doch Kay und Simon bemerkten sofort, dass Platon den Widerspruch nur geäußert hatte, um Fledermann zum Reden zu bringen. Amüsiert konnte Platon sich neben seinen alten Freund setzen und mit nur sehr wenigen Einwürfen, die Rede am Laufen halten.

„Wieso denn nicht?“, machte Fledermann. „Ist denn das Träumen verboten? Nur weil ihn jeder als Teufel darstellt heutzutage und selbst du ihn am allerliebsten als politische Vaterfigur sehen willst, muss ich auf meine Worte aufpassen? Mein Bruder hatte schon recht! Sokrates ist der weiseste Mann dieser Erde. Aber seine Weisheit ohne seinen verträumt versponnenen Geist …?

Ich hatte einmal eine berechtigte Streiterei mit meinem Bruder, müsst ihr wissen. Und obwohl ich im Recht war, mein Bruder war leider ein Choleriker mit der schlechten Angewohnheit, ein Geizhals zu sein, hat Sokrates mich überzeugt, den Streit niederzulegen. Ich meine, ich war ja im Recht. Ich an seiner Stelle wäre zum Übeltäter gegangen und hätte meinem Bruder gesagt, er soll gefälligst vernünftig sein und Geiz und Temperament in die Tonne treten. Hast du nicht etwas anständiges zu Trinken im Haus? Platon, eine Flasche von deinem Weißwein, wenn’s recht ist, so ist gut, brav. Schenk den jungen Burschen auch etwas ein. Danke-schön. Man darf in diesem Haus keine Scheu haben, immer muss man Platon daran erinnern, wer gerade Gastgeber ist und wer Gast. Der Streit? Oh ja richtig. Nur Geduld, meine Freunde. Sokrates ist also zu mir gekommen und ich dachte schon: ‚will der Kerl mir jetzt einreden, dass mein Bruder im Recht ist?’ Stattdessen ist er aber gekommen und hat mit mir über Bruderliebe geredet und darüber, dass man andere Menschen nicht ändern könne, dass der einzige Mensch, den man ändern kann, man selbst ist und so weiter und so fort.“

„Und du hast auf ihn gehört.“, bestätigte Platon.

„Ich habe auf ihn gehört, weil er recht hatte.“, sagte Karoll. „Kein Geld der Welt wiegt die Bedeutung eines Bruders auf. Du weiß nie wie lange du einen Menschen an deiner Seite stehen hast. Aber du weiß, wenn das Geld dazwischen kommt, dass du dich nur auf dich selbst verlassen kannst. Sokrates hat mich dazu gebracht, diesem blassen, windigen Barfüßer zu verzeihen, mit ihm wieder auszukommen und er hat mich auf einen Weg aufmerksam gemacht, der eigentlich ja ganz selbstverständlich ist. Man muss den Bruder nicht haben, den man möchte sondern den Bruder mögen, den man hat.“, er nippte an dem Weißwein, ließ ihn in seinem Mund hin und her spülen, gurgelte ihn etwas, dann nickte er, lehnte sich zurück und rollte genüsslich mit den Augen.

„Heute ist die Verhandlung und der gute Platon ist nicht dabei. Ist das nicht merkwürdig?“

„Ich gehe erst, wenn Sokrates seine Verteidigungsrede hält.“, erklärte Platon brüsk. „Und natürlich werde ich es aufzeichnen.“

„Er will nämlich ein Buch über seinen Mentor schreiben.“, erklärte Karoll.

Platon kreuzte die Arme vor der Brust. „Der alte Narr macht es ja nicht selbst.“

„Und jetzt fragt ihn mal, ob er die Rechte hat?“, kicherte Karoll.

„Kommt noch.“, meinte Platon. „Hier sieh mal.“, er reichte Karoll das Bild, das Simon vorhin gehalten hat. „Als ob der Alte keine Luft mehr kriegt, vor vielen Menschen.“

„Keine Luft?“, Karoll kicherte. „Ja, so könnte man sagen. Keine Luft, das ist witzig.“

„Wieso ist das witzig?“, hakte Simon etwas beleidigt nach.

„Weil ja eigentlich die Menschen den Atem angehalten haben.“, er kicherte wieder. „Kennt ihr die Mission des Sokrates?“

„Die Mission des Sokrates?“, fragte sogar Platon skeptisch nach.

„Naja, welchen Sinn sich Sokrates gegeben hat.“

„Red keinen Unsinn, sonst bekommst du keinen Wein mehr.“, knurrte Platon.

Die beiden begannen kurz zu streiten, dann wurde der alte Karoll Fledermann laut: „Es hängt alles zusammen, Platon! Es hängt alles zusammen! Nieder mit dem Gewäsch! Nieder mit den Sophisten.“

„Wer sind denn Sophisten?“, fragte Simon. Und Platon sagte direkt: „Ja, los, erklär es ihnen. Was sind Sophisten?“

Karoll seufzte.

„Alles beginnt mit der wunderschönen Vorstellung, dass alle Menschen gleich sind. Die Welt ist mit all ihrer Technik sehr klein geworden. Jede Kultur hat ihre eigene Vorstellung von Wahrheit und Ethos. Was richtig ist und was getan werden muss, was ein lebenswertes Dasein betrifft, ob es einen Gott gibt, wie die Welt entstanden ist, ob es Kulturen gibt, die es Wert sind geopfert zu werden, zum Wohl einer besseren Kultur, … das sind so viele Fragen auf die fast schon jeder einzelne Mensch eine eigene Antwort zu haben scheint. Und wer entscheidet dann schon darüber, wer recht hat? Nein, nein. Wenn alle Menschen gleich sind und niemand weniger Wert ist, dann gilt das doch auch für die Kulturen, in denen ein Mensch lebt. Und gilt es dann nicht auch für die Vorstellungen, die Leitideen und die Gedanken der Kulturen, über die immer wieder so vorzüglich gestritten wird?

Streng genommen gibt es in einer den Pluralismus und die Vielfältigkeit verehrenden Gesellschaft keine einzige Wahrheit mehr. Aber weil der Mensch nunmal eine Wahrheit braucht, an die er glauben kann, verändert sich etwas ganz wesentliches in dieser Gesellschaft aus Weltbürgern. Es geht auf einmal nicht mehr darum, recht zu haben sondern recht zu bekommen. Man muss lernen, sich zu verkaufen. Man redet sich um Kopf und Kragen. Mit jeder Faser deines windigen kleinen Körpers bemühst du dich, deine individuelle Kultur zur einzig wahren zu erklären. Wer sich am besten verkaufen kann, gewinnt. Und niemand konnte es besser als die Sophisten.“

„Professor George ist euch ganz sicher ein Begriff.“, sagte Platon.

„Und nicht zu vergessen mein ganz spezieller Freund: der gute alte Professor Otargo Rosso.“, Fledermann sprach den Namen mit dem selben Genuss in der Stimme aus, als habe er soeben den teuersten Wein der Welt gekostet. „Der Mensch“, zitierte Fledermann. „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, des Seienden für sein Sein, des Nichtseienden für sein Nichtsein.“

„Und das bedeutet?“, fragte Kay schüchtern nach.

„Nichts anderes, als dass Wahrheit eine sehr eigentümliche Sache ist, mit der man sehr vorsichtig umgehen muss. Er hat seine Schüler gelehrt, dass jeder Satz wahr sein kann, aber dass die Wahrheit von so vielen Faktoren abhängig ist. Zum Beispiel davon, wer die Wahrheit ausspricht, wann er sie ausspricht, zum wem, und so fort. Das Maß aller Dinge, woran sich die ganze Welt misst, ist nicht die Menschheit, sondern das Individuum zu jeder einzelnen Sekunde. Eine sehr einsame Sicht der Dinge, wenn ihr mich fragt.“

„Das ist also Sophismus?“, Simon blickte kritisch. „Ich dachte immer …“

„Nein“, lachte Platon und auch Fledermann winkte energisch ab.

„Das sind Sophisten. Den Sophismus gibt es nicht, meine Freunde.“

„Professor George glaubt zum Beispiel überhaupt nicht an Wahrheit.“, ergänzte Platon und Fledermann sagte:

„Andere beschäftigen sich rein mit mathematischen Fragen, mit Politik, mit Ehre, mit Geld, mit Beschimpfungen, …“

„Wer mit Worten überzeugen kann“, sagte Platon ernst, „Richter, Politiker, das Volk, … welche Macht haben diese Menschen?“

„Es geht um das Ausnützen einer Lücke.“, bemerkte Fledermann feingeistig. „Es geht darum, in einer Zeit, in der Wahrheit beinahe beliebig geworden ist, den Zuspruch auf Wahrheit und auf Gültigkeit zu einer regelrechten Wissenschaft zu erheben.“

„Ich darf Professor George zitieren, ja? Gesetz und Brauch stellen immer die Schwachen auf: das Volk. Der Schwache ist erst zufrieden, wenn Gleichheit herrscht. Denn der Starke ist dazu in der Lage, sich was er braucht zu verschaffen! Gerade die Natur aber beweist, dass der Edlere mehr Vorteile hat als der Geringere, und der Leistungsfähigere mehr als der minder Leistungsfähige. In der Natur gilt: dass der Stärkere über den Schwächeren herrscht.

„Und in der Gesellschaft der Menschen gilt, dass der Stärkere sich den Schwächeren angleicht. So ist es doch oder?“, Fledermann schüttelte den Kopf. „Aber ich habe vorhin ja schon gesagt, dass ein Sophist nicht die Inhalte mit anderen Sophisten gemeinsam hat, sondern die Art und Weise, wie sie mit den Inhalten umgehen. Sie gehen in die Öffentlichkeit, sie besetzen die Fernsehsender und Zeitungen, die oberen Chef-Etagen großer Firmen und sie leiten PR-Abteilungen. Sie bringen dir nur mit Worten bei, dass nur das das Beste sei, was sie dir sagen. Wenn ein Sophist dir sagt, es gibt nichts schöneres, als dich von ihm beschimpfen zu lassen. Dann gehen hunderte von Menschen ins Fernsehen, um sich von ihm beschimpfen zu lassen und gehen nach Hause mit dem Gefühl, das richtige getan zu haben.“

Eine Schar von Sendungen fielen Kay spontan ein.

„Oder ruf an, wenn du reich werden willst“, verkündete Platon mit übertrieben betonter Stimme. „wir machen dich reich. Aber nur, wenn du anrufst.“

„Hallo?“, spielte Fledermann das Spiel mit und er hielt sich eine Banane an sein Ohr.

„Oh“, machte Platon. „Wir haben einen Anrufer in der Leitung.“

„Ich will reich werden.“, sagte Fledermann in die Banane.

„Dann beantworte uns folgende Frage: Wie ist der Name der Hauptstadt Frankreichs: Paris oder Plastik?“

„Paris! Bin ich jetzt reich?“

„Reich an was, mein Freund?“

„An Geld?“

„Ist Geld etwa die Grundlage für Reichtum?“

„Ich denke.“

Platon blinzelte überrascht. „Sagt man denn nicht: Wer reich an Freunden ist, der darf sich glücklicher schätzen, als der, welcher reich an Geld ist?“

„Doch schon, aber …“

„Und kann man dir nicht morgen das Geld abnehmen und dich ins Unglück stürzen?“

„Doch, schon, aber…“

„Wogegen Freunde dir ewig gesonnen bleiben. Dir ewig helfen und immer für dich da sind, erst recht, wenn dir dein Geld gestohlen wurde?“

„Nur dann sind es echte Freunde!“

„Wenn ich dir Geld gebe, wirst du dann sofort glücklich sein damit?“

„Ich kann mir Dinge kaufen, die mich glücklich machen!“

„Du wirst es also ausgeben?“

„Und auf die Bank bringen.“

„Weshalb?“

„Weil ich Angst habe, es zu verlieren.“

„Also werde ich dir entweder etwas geben, was du sofort verlierst oder, wenn du es behältst, was dich mit Ängsten und Sorgen belastet. Ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich Ängste und Sorgen verschenken würde. Du hast aber die Antwort richtig gewusst, und ich will dich nicht auf die Folter spannen. Ich gebe dir einhundert Scheine.“

„Einhundert!?“

„Im übrigen“, flüsterte Platon außerhalb seiner Rolle. „Dieser Anruf hat bereits zwanzig gekostet.“

Fledermann nutzte den Augenblick, die Rolle zu verlassen. Er schälte die Banane und sagte: „Niemand schenkt dir etwas. Alle betrügen dich. Alle wollen recht bekommen. Alle wollen immer mehr und mehr. Dieses Klima bauen die Sophisten auf. Ein herrliches Vexierspiel. Wortdrechsler.“, er biss voller Verachtung in die Banane.

„Und Sokrates …?“, hakte Simon nach.

„Wie ungeduldig, diese Jugend.“, tadelte Platon und auch Fledermann schüttelte den Kopf.

„Immerhin haben die Sophisten auch Gutes zuwege gebracht.“, erklärte Platon. „Sie haben etwa den Menschen wieder stärker in den Blick gerückt. Und sie haben das Denken und das Reden selbst zum Gegenstand ihrer Gedanke und ihrer Worte gemacht.“

„Ich stelle sie mir gerne als ein reinigendes Feuer für die ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft vor. Aber sie darf nur eine Übergangserscheinung sein!“

„Unbedingt.“, stimmte Platon zu. „Es handelt sich um ein Verhalten, das überwunden werden muss. Sie gedeihen im Grenzwertigen unserer pluralistischen Gesellschaft. Zugleich legen sie damit aber auch die Grenzen der Gesellschaft fest, aber nur …“

„Aber nur?“, fragte Kay nach.

„Aber man kann nur überwinden, was man erkennt und versteht. Und das Volk versteht nicht, sondern fällt darauf rein.“

„Showbussiness stays Showbussiness.“

„The show must go on.“

Fledermann schluckte laut, dann grinste er wieder und sagte: „Und jetzt, zeig ihnen den Film! Loslos! Mach schon.“

 

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