15 – On Air

„Stellen sie sich bitte vor, ihr Name wäre Terry Night. Da ist es eine Verpflichtung Moderator einer Late Night Show zu werden!“, Terry grinste in die Kamera. „Ich habe heute wieder ausgezeichnete Gäste und freue mich darauf, heute Abend in ihren Wohnzimmern erscheinen zu dürfen. Reden wir über Gerechtigkeit. Wir haben es täglich mit allen Arten von Ungerechtigkeiten zu tun. Eine Art der Ungerechtigkeit findet sich in dem Stuhl direkt zu meiner Linken. Wir haben einen sehr selbstgerechten Menschen, der auf den Namen Sokrates im ganzen Land zu einer nicht gerade angenehmen Berühmtheit gekommen ist. Ich sage das nicht, weil ich mich davor fürchte, von dem Menschen meine Sendezeit gestohlen zu bekommen, sondern weil ihm der Ruf anhaftet, er winde sich aus allen Kommentaren, die man ihm zuschiebt mit teuflischer Geduld heraus. Ihm haftet der Vorwurf an, er spiele dem Land etwas vor. In seinem letzten Interview fielen Aussagen zu eben jener ‚Gerechtigkeit’, die zu großem Aufsehen führten, da sie in einem engen Zusammenhang standen mit dem aktuellen Krisenstab, der aus dreißig anerkannten Persönlichkeiten der Wirtschafts- und Medienindustrie besteht, und derer innen- und außenpolitischer Arbeit.“, er nahm einen Zeitungsartikel und hielt ihn in die Kamera. „Darf ich vorlesen: ‚Ein Schwätzer beleidigt das Antlitz unserer Söhne’. Gemeint sind selbstverständlich die Kriegstoten. Da alles ein großes Missverständnis sein sollte – nicht wahr? – wollten wir heute den Beteiligten eine Chance zur Rede und Gegenrede bieten. Mein Name ist Terry Night und ich stelle die Frage: Ist das noch gerecht?“

Es wurde ein Jingle eingespielt und die Beteiligten der folgenden Debatte steckbriefartig vorgestellt.

„Wir wollen heute kein Geschwätz, Sokrates. Also bitte nicht wieder ein Ausflucht in die Welt der Worte. Gerechtigkeit, was ist das? Und bitte nicht antworten, es sei das Pflichtmäßige, dass Nützliche oder das Zweckmäßige, das Vorteilhafte oder das Zuträgliche. Wir wollen eine ausführliche Antwort.“

„Es tut mir leid, wenn so viele Menschen das letzte Interview als ein Geschwätz aufgefasst haben“, antwortete Sokrates. „Ich würde aber die Presse bitten, mir das ‚Geschwätz’ nicht zum Vorwurf zu machen. Der Grund, weshalb es zu offensichtlichen Missverständnissen kam, lag einzig daran, weil wir in unserem letzten Interview nicht in der Lage waren, die richtigen Worte zu wählen. Es wäre angebrachter, uns Mitleid entgegen zu bringen, dass es uns nicht gelungen ist, die Dinge so anzusprechen, wie sie offensichtlich jeder kennt und versteht, als es uns nachzutragen.“

Terry Night lachte. „So ist es recht. Da haben wir sie, meine Damen und Herren, die bekannte Verstellung des Sokrates! Habe ich es nicht vorhergesehen? Die geforderte Antwort bleibt uns Sokrates heute Abend schuldig.“

„Du bist offensichtlich klüger als ich.“, Sokrates senkte seinen Kopf. „Darum wusstest du sehr gut, wenn du jemanden fragst, wieviel zwölf ist, und du ihm beim Fragen gleich vorhersagst: ‚Aber bitte sage nicht: zwölf ist zwei mal sechs; oder drei mal vier; oder sechs mal zwei, vier Mal drei oder ein Mal zwölf. Denn ich werde es nicht gelten lassen, wenn du so tust, als ob du es besser wüsstest.’“, sehr zur Freude des Publikums hatte Sokrates die Stimme seines Moderators immitiert. Jetzt fiel er wieder zurück in den schüchternen Sokrates: „Welche andere Antwort als meine hast du erwartet, Terry? Ich darf nichts nennen, was du schon vorweggenommen hast. Wenn aber nun eins davon das richtige gewesen wäre? Was dann? Soll ich dann etwas daherlügen?“

Terry applaudierte mit selbstgefälligem Grinsen.

„Ist eins meiner genannten die wahre Antwort?“, in seiner Stimme lag ein raubtierhaftes Lauern.

„Es könnte durchaus sein.“, wich Sokrates aus. „Aber ich ahne bereits, dass du heute Abend eine Alternative parrat hast. Also tu doch dem Unwissenden den Gefallen und präsentiere uns deinen Vorschlag.“

„Wenn ich nun eine andere Antwort aufstelle über die Gerechtigkeit“, murmelte Terry, „weit von allem genannten …“

„Dann werde ich wissender das Studio verlassen als ich es betreten habe.“

„Gut zuhören!“, befahl Terry. „Gerechtigkeit ist das dem Stärkeren Zuträgliche.“, er grinste triumphierend. „Wie? Kein Lob vom großen Meister?“

„Ich habe es noch nicht verstanden. Das dem Stärkeren Zuträglichere? Wenn also ein Meisterboxer nur Rindfleisch verträgt ,soll auch wir Schwächere den ganzen Tag nur Rindfleisch zu uns nehmen? Das kann es nicht sein, was du meintest, oder?“

„Boshafter Sokrates! Wir entlarven heute Nacht seine Strategie, liebe Zuschauer vor den Fernsehern. Er nimmt meine Rede, fasst sie so auf, wie er sie am übelsten Zurichten kann, …“

„Keineswegs.“, unterbrach Sokrates. „Ich beschwere mich nur, weil du nicht deutlich genug geredet hast.“, zaghaft wandte Sokrates sich den Kameras zu: „Oder hat das sonst jemand verstanden?“

„Wie werden Staaten regiert?“, sagte Terry. „Es gibt Demokratien, Diktaturen, Terrorherrschaften. Was es auch immer sei. Das Regierende hat doch die Gewalt im Staat, oder nicht?“

„Ja?“

„Und jegliche Regierung gibt die Gesetze nach dem, was ihr zuträglich ist, die Demokratie demokratische, die Tyrannei tyrannische und so weiter. Und indem sie sie so geben, zeigen sie also, dass dieses ihnen Nützliche, das Gerechte ist für die Regierten. Und wer die Gesetze bricht, der wird bestraft, weil er ungerecht handelte. Denn stärker als jeder Boxmeister oder Ringkämpfer oder was auch immer du aus deinem Zylinder ziehst, ist die Regierung.“

„Ich habe verstanden.“, sagte Sokrates. „Ich durfte Zuträglichkeit nicht antworten, aber in deiner Antwort kam es vor. Nunja, du hast die Zuträglichkeit des Stärksten gesagt, das ist spezieller und fällt vielleicht durch deine vorweggeschickte Zensur, mag sein.“

„Es ist nur ein kleiner Zusatz.“, gestand Terry mit gespitzten Lippen.

„Das Gerechtigkeit und Zuträglichkeit miteinander zu tun haben, gestehe ich vielleicht ein.“, sagte Sokrates. „Das leuchtet zumindest ein, aber ob es wirklich mit dem Stärkeren zu tun hat, muss überlegt werden.“

„Überleg nur.“, spottete Terry.

„Fangen wir an: Den Regierenden zu gehorchen ist gerecht?“

„Sicher doch.“

„Sind alle Regierenden jeden Staates unfehlbar?“

„Unsere Zuschauer wissen, dass jede Regierung Fehler macht.“

„Eine gesetzgebende Regierung entlässt also sowohl fehlerfrei als auch fehlerhafte Gesetze?“

„So zeigt es die Praxis.“

„Was sie aber festsetzen, daran muss sich ein Volk orientieren. Und das ist das Gerechte?“

„Wie sollte es nicht?“

„Also nicht allein das dem Stärkeren zuträgliche zu tun ist gerecht, nach deiner Rede, sondern auch das Gegenteil, das nicht zuträgliche.“, schloss Sokrates.

Terry stutzte, wandte den Kopf endlich von der Kamera und blickte Sokrates an. „Wie bitte?“

„Fehlerhafte Gesetze von einem fehlerhaften Staat entlassen, weil es keinen fehlerfreien Staat gibt. Aber ein fehlerhaftes Gesetz kann kein nützliches Gesetz sein, geschweige denn ein zuträgliches. Sich an das Unzuträgliche zu richten führt nach deiner Definition automatisch zur Gerechtigkeit, nur weil es ein Stärkerer so beschlossen hat.“

„Eine ausgezeichnete Gelegenheit Luft zu holen, meine lieben Zuschauer. Wir kommen nach der Werbung zu ihnen zurück und ich verspreche ihnen noch einen weiteren Gast, einen Schriftsteller sogar. Mal sehen, ob uns seine Worte milder gestimmt sind, als die des Wortverdrehers Sokrates.“

(Als nächstes komme sein großer Bruder, hatte Platon angekündigt. In der Werbeunterbrechung servierte den Gästen Oliven, trockenes Brot, belegt mit Tomaten und Kräutern.)

„Der Autor, den ich nun herzlich begrüßen möchte, hat vor einem Jahr mit einem kriminologischen Meisterwerk von sich Reden machen. Vor ein paar Wochen ist er in die Bestsellerlisten zurückgekehrt. Sein Romanheld durchstreift die Einsamkeit der Großstadt um den Mord an einer Prostituierten aufzudecken. In seinen Mordgeschichten spielt, wie man sich denken kann, Gerechtigkeit eine große Rolle. Ich hoffe von ihm Unterstützung, weil seine Gerechtigkeit viel mit den Vorstellungen großer Institutionen zu hat. Hier ist Konstantin Glauer.

Herr Glauer: Wenn sie wählen dürften: das Leben eines Gerechten oder das Leben eines Ungerechten, wofür würden sie sich entscheiden?“

Glauer war sichtlich überrumpelt von dieser Frage, er sah sich irritiert um, fand aber nur das spitze Grinsen des Moderators.

„Was für eine Frage, Terry.“, sagte er, um Zeit zu gewinnen und Terry stieß zu:

„Sie haben recht.“, sagte er hastig. „Der Ungerechte hat mit Sicherheit ein besseres Leben als der Gerechte. Mein vorheriger Gesprächspartner hat leider durchscheinen lassen, dass seine Gedanken weit von der tatsächlichen Gerechtigkeit entfernt ist. Denn er weiß nicht, dass die Gerechtigkeit und das Gerechte eigentlich ein fremdes Gut ist, nämlich es nutzt nur den Stärkeren und den Herrschenden, den Gehorchenden und Dienenden aber schadet es. Die Ungerechtigkeit ist das genaue Gegenteil und herrscht über die Dummen und Gerechten, die Beherrschten aber tun was dem Stärkeren nützlich ist und dienen ihm. Ein Gerechter ist überall schlechter dran als der Ungerechte. Ein ganz einfaches und altes Gesetz. Wo sieht man denn ein Geschäft von einem Gerechten geführt und erfolgreicher als alle Geschäfte, die schwarz und in den Schatten agieren. In ihrem Buch ist eine vortreffliche Passage. Da haben wir einen Polizist, dem Unrecht widerfährt und der, als ihm die Chance geboten wird, sich nicht rächt. Als ihm Unrecht widerfährt erleidet er schaden und als er ihn ausgleicht, landet er bei den Elendsten der Elenden.“

Glauers Augen verengten sich: „Schön gelesen, Terry. Aber was wollen sie sagen?“

„Was ist wahre Tyrannei, Glauer? Ich glaube, es ist, dass jemand, der im Kleinen sich fremdes Gut mit List und Gewalt aneignet, privates und staatliches, heiliges und unheiliges, sobald er erwischt wird ein Seelenverkäufer, Räuber, Betrüger und Dieb genannt wird. Hätte er aber außer dem Vermögen seiner Mitbürger auch noch sie selbst in seine Gewalt gebracht, sie von sich selbst überzeugt und damit unter seiner Kontrolle, so wird er anstatt mit bösen Titeln versehen, sogleich glückselig und preiswürdig.“

„Ich habe vorhin hinter den Kulissen schon gehört, dass du glaubst, die Gerechtigkeit gehe mit Macht einher. Nur hat Sokrates ein schönes Argument dagegen gehabt.“, er wandte sich Sokrates zu. „Es scheint nicht viel gebracht zu haben.“

Terry sagte: „Zumindest wurde mir noch keine angenehme Alternative zu Ohr gebracht.“, und mit zwei zu Pistolen geformten Händen zielte Terry auf Sokrates.

„Wir leben besser, wenn wir uns ungerecht verhalten.“, Glauer lachte finster auf. „Ich versuche mir diese Welt vorzustellen. Sollte ich eines Tages darüber schreiben, hoffe ich, dass meine Leser eine solche Welt in all ihren Konsequenzen ablehnen.“

„Du übersiehst etwas, Glauer.“, sagte Sokrates nachdenklich. „Es scheint fast so, als wisse Terry wie man heutzutage noch glücklich werden kann. Wir sollten den Augenblick nutzen, von ihm zu lernen. Gib dir bitte etwas mehr Mühe, Terry, uns deine Weisheit nicht in Form von simplen Sätzen vor die Füße zu werfen. Ich war nämlich, als ich das Studio betrat, nicht der Meinung, die Ungerechtigkeit biete mehr Vorteile als die Gerechtigkeit, auch nicht, wenn einer die Gerechtigkeit ganz loslässt. Sondern, Bester, es kann ein Mensch noch so ungerecht sein und sein Lebtag nur Unrecht handeln, weder heimlich noch offen vor aller Augen, mich kann er nicht datzu überreden, dass die Gerechtigkeit mehr Gewinn abwirft. Und wenn ich Glauers Temperament richtig deute, hat er noch ähnliche Vorstellungen als ich. Bitte überzeuge uns.“

„Und wie kann man einen Sokrates überzeugen?“, fragte er. „Kann ich meine Worte in deine Seele hineintragen und dort festbinden? Ich wiederhole aber gerne: Es ist nunmal eine alltägliche Erscheinung, dass man über Ungerechtigkeiten jammert und schimpft, aber warum tut man es? Weil man sich davor fürchtet, selbst ungerecht behandelt zu werden. Sobald es aber um das eigene Handeln geht, steht die Ungerechtigkeit wieder hoch im Kurs.“

„Nein, schon gut.“, Sokrates senkte demütig den Blick. „Aber tu uns den Gefallen und bleibe konsequent bei dieser Meinung. Und wenn du sie änderst, so tu es offensichtlich und hintergehe uns nicht. Schauen wir uns doch noch einmal an, was du vorhin sagtest und überprüfen wir es.

Und weil du immerzu die Gerechtigkeit an Stärke und Macht knüpfst, will ich dich fragen, ob du glaubst, dass es eine Regierung gibt, die ihren Lohn einfach nur dadurch empfängt, weil sie regiert? Gibt es eine Regierung, die einfach nur gern regiert?“

„Naja, immerhin erhält der Kontrollierende von dem, den er Kontrolliert seinen Lohn.“, meinte Terry.

„Also gibt es bei jedem Regierungsgeschäft einen Gewinn oder einen Vorteil?“

„Ja, aber sicher. Bei welchem Geschäft nicht?“

„Sicher.“, Sokrates nickte. „Bei welchem Geschäft nicht. Es scheint, als wäre geradezu jede Handlung auf Gewinn ausgerichtet, wie?“

„Gewinn im allgemeinsten Sinne. Von jeder Handlung erhofft man sich ein positives Ergebnis.“

„Das hätten dann wohl alle Handlungen gemeinsam, dass sie auf einen Vorteil ausgelegt sind. Wenn ich mich also gut darauf verstehe, ein Arzt zu sein, dann ist die – nennen wir es die Kunst – die Kunst meines Berufes doch wohl, dass ich Menschen heile.“

Terry beugte sich neugierig vor, weil er nicht ahnte, wohin Sokrates ihn führen würde. Sokrates interpretierte dieses Vorbeugen als eine Bestätigung seiner Worte.

„Wenn ein Arzt einen Menschen heilt, hat er die Kunst seines Berufes vorzüglich ausgeübt. Anschließend wird er dann dafür belohnt, indem die Krankenversicherung ihn bezahlt.“

„Exakt, er hat nur den Menschen geheilt, weil seine Kunstfertigkeit ihm Geld einbringt, außerdem die Ehre, ein erfolgreicher Arzt zu sein, und vergessen wir nicht, dass er sich dafür ein luxuriöses Leben leisten kann.“, Terry hätte am liebsten weiter gesprochen, doch Sokrates Nicken und sein geflüstertes: „Ich verstehe.“, ließen ihn skeptisch innehalten. Er beugte sich wieder vor, stützte seinen Oberkörper auf den Beinen ab und fragte nach:

„Du stimmst mir zu? Ich habe dich also überzeugt?“

„Zum Teil. Nur frage ich mich, ob in deiner Vorstellung ein Arzt sich grandios seine Fähigkeiten ausbilden konnte, und dennoch weder Geld noch Ehre erreicht.“

„Selbstverständlich.“

„Also ist der Gewinn von der Kunst verschieden. Es muss also das Ziel einer zweiten Kunst sein. Unser Mediziner muss also sowohl ein hervorragender Mediziner sein, als auch ein hervorragender … Lohndiener.“

„Ein Lohndiener?!“

„Er muss sich darauf verstehen, seine Kunst gewinnbringend einzusetzen.“, erklärte Glauer.

„Genau.“

„Wenn der Arzt aber ein unglaublich schlechter Lohndiener ist, dafür ein hervorragender Arzt, …“

„… hat eben nur der etwas davon, den er heilt.“, triumphierte Terry. „Das sage ich doch die ganze Zeit.“

„Das selbe gilt also auch für die Regierungen?“

„Sollte es.“

„Eine Regierung, die sich auf ihre Kunst versteht wird also nur ihrem Volk das Gute tun ohne selbst einen Lohn davonzutragen.“

„Augenblick!“, warf Terry ein und sein Grinsen hatte bereits etwas an Leuchtkraft verloren.

„Das erscheint mir tatsächlich glaubwürdig, Terry. Es würde zumindest erklären, weshalb so viele Menschen kein Interesse an der Politik zeigen, umso weniger, wenn man sie mit keinerlei Lohn für ihre Arbeit ködert.“

Terry knirschte mit den Zähnen und ehe er sich wieder zu Wort melden konnte, fuhr Sokrates fort:

„Da macht es auch Sinn, die Frage danach zu stellen, ob das Ungerechte nicht etwa das tugendhaftere Verhalten ist. Nun Terry. Wie sieht es aus? Sag mir zuerst: Der Gerechte, der scheint ja allein deshalb der Unterlegene zu sein, weil er nicht andere Gerechte übertreffen will, sondern eigentlich nur den Ungerechten. Ich sage deshalb der scheinbar Unterlegene, weil der Ungerechte dementgegen ja sowohl den Gerechten als auch andere Ungerechte übertreffen möchte.“

„Ich glaube, dem kann ich nichts entgegenhalten.“

„Wir können es anders formulieren, um es allgemeiner zu halten: Der Gerechte bemüht sich den zu übertreffen, der ihm ungleich ist; der Ungerechte sowohl den gleichen als auch ungleichen.“

„Ja.“, die Zustimmung kam wieder lauernd.

„Wenn der Ungerechte nun gut und weise handelt, dann handelt er ähnlich wie andere, die gut und weise sind, also er hat etwas, dass ihn dem an und für sich Guten und Weisen ähneln lässt. Nicht wahr? Aber legen wir das kurz zur Seite. Du kennst doch Menschen, die sich auf Töne verstehen?“

„Musiker?“

„Und Menschen, die von Tönen keine Ahnung haben?“

„Jemand, der unmusikalisch ist.“

„Wen von beiden nennst du verständig?“

„Verständig? Wer sich auf sein Handwerk versteht? Der Musiker natürlich.“

„Und den unmusikalischen demnach unverständig, ein Laie oder Dilletant.“

„Richtig.“

„Glaubst du, ein musikalischer Mann, der seine Gitarre stimmt, will in der Anspannung und Nachlassung der Saiten einen anderen Musiker überbieten?“

„Nein, er will nur die Saiten stimmen und seine Gitarre so gut klingen lassen, wie bei anderen Musikern.“

„Und der unmusikalische, der seine Gitarre stimmt …“

„… möchte es so gut können, wie die, die ihr Handwerk verstehen.“

„Wer also etwas kann, und den wir deshalb schätzen, weil er in seiner Sache gut ist, will vor denen, die ihm ähnlich sind, nichts voraus haben wollen. Er will nur besser sein, als die, die keine Ahnung haben, also die, die ihm unähnlich sind? Das hast du eben ja zugestanden.“

„Habe ich.“

„Jetzt kommen wir wieder auf das zurück, was wir kurz zur Seite legten: der Gerechte, haben wir gesagt, wird vor dem, der ihm ähnlich ist, nichts voraus haben wollen. Er ähnelt dem Musiker, der die Saiten stimmt.“

„Ja, und?“

„Dann wird doch der Gerechte dem Könner gleichen. Und da ein Könner in seiner Sache gut ist, hat er etwas, das ihm Ähnlichkeit verleiht mit dem an und für sich Guten. Der Ungerechte wird entsprechend dem Einfältigen gleichen, dem, der nichts kann oder immerhin schlecht in seiner Sache ist.“

Glauer nickte.

„Nach diesen Ausführungen ist der Gerechte der Gute und der Ungerechte der Schlechte.“

Terry war ins Schwitzen geraten und er wollte etwas erwidern, man sah, wie sich seine Lippen bewegten, aber kein Ton hervorkam. Dann zuckte er, wie unter einem Stromschlag, zusammen und er blickte in die Kamera. Die Augen waren starr und sein Ausdruck unbewegt.

„Wir sehen, es bleibt spannend.“, sagte er einfach nur. Und die Kamera wartete auf noch ein weiteres Wort, das nicht kam. Statt dessen kam Werbung.

Was sagt ihr dazu?