Man konnte es sich nur schwer vorstellen, aber Platon hatte tatsächlich eine statistische Liste vorliegen, die belegte, wieviele Anrufer zu jener Sendung das Studio zu erreichen versuchten. Er hatte Tonbandaufnahmen, die belegten, dass Terrys Ansicht von einer tugendhaften Ungerechtigkeit zeitgemäßer sei, als das verklärt romantische Bild, das Sokrates zu argumentieren versuchte.
Die Sendung wurde derweil fortgesetzt mit zwei Reportagen, eine über einen tatsächlichen Fall und eine von einem damals aktuellem Kinofilm. Beide dienten nur dem Zweck, zu beweisen, dass Ungerechtigkeit größere Vorteile brachte als Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit werde überschätzt, so ein Anrufer. Das sei alles schön und gut, man solle so handeln, wie man als anständiger Mensch erzogen worden sei, aber helfe Anstand denn immer weiter? Wenn ich der netten Dame in der U-Bahn einen Platz freiräume, muss ich stehen, so der Anrufer. Wer hat denn was davon? Ich ja wohl nicht.
Und dann gab es die Frau, die mit trockener Stimme verkündete, kein Staat könne erfolgreich bestehen, wenn alle Regenten nach den Gesetzen des Anstands entschieden.
Die Märchen, ja, die könnten noch Welten entwerfen, in welchen Gerechtigkeit immer siegt und einen guten Prinzen beherbergen, der am Ende seines Lebens die Prinzessin erhält, einfach weil er brav die Anstrengungen erduldete.
Wunderschön, nicht wahr, lachte Platon. Und er hätte ewig weiter Tonbandaufnahmen abspielen lassen können.
Es war ein ganz offensichtlicher Eindruck: Man wollte Sokrates widersprechen. Er war einfach nicht modern in seiner Vorstellung. Er war nicht konform.
„Aber es ist ja noch nicht vorbei!“, drängte Fledermann. Er hatte schon mehrfach versucht, Platon die Fernbedienung aus den Händen zu reißen. Und als es ihm endlich gelang, gab es eine kleine Rangelei, wobei ein Teil der Sendung durch ein unfreiwilliges Spulen übersprungen wurde.
„Macht nix.“, sagte Fledermann. „Wir haben nur deinen Bruder und sein dummes Buch verpasst.“
„Dummes Buch. Ich sage dir …“, setzte Platon an, wurde aber von Fledermann sofort mit schalkhaftem Ausdruck in den Augen stillgezischt.