Bei der Schulaufführung begann sie anders als alle erwarteten. Sie stand als Gretchen im Kerker schon in der ersten Szene. Die Füße dicht am Rand der schwarzen Sperrholzbühne, richtete sie ihren Blick direkt ins Publikum, hart und kalt und entleert jeder Gefühle. Sie sagte: jeder von uns kennt die Stelle an der Biegung des Flusses. Dort ist ein unscheinbarer Flecken, auf den immer Schatten fällt. Dort haben Millionen schon Seelenscherben vergraben. Dort liegt auch ein Teil von mir.
Sie schweigt, die Handfläche auf ihrem Bauch. Hinter ihr das Unscharfbild eines Mitschülers. Sie küsst langsam Zeige- und Mittelfinger und drückt dann diesen Kuss auf ihre eigene Stirn, ehe die Finger nach oben zum Himmel gereckt werden.
Dramatisch langsam, tränenleer verließ sie dann das Schulgelände und war von da an nicht mehr von niemandem gesehen.
Hinter der Biegung des Flusses ist es, wo das echte Leben beginnt.