Kurz vor der Geburt meines Sohnes gab es in der Zeit ein Themenheft zur Frage des Mannes. Ich hätte ja nie gedacht, dass der Mann einmal eine Frage sein würde. Oder eine Frau. Aber ganz offensichtlich war es das. Erklärt werden kann das ganz einfach: Der Mensch hat immer in Rollenmustern gelebt. Meiner Erfahrung nach stimmte es zwar nicht so ganz, was man immer behauptete, dass die Frau zum Beispiel immer und radikal und extrem und sowieso als die dem Mann unterlegene Rolle eingenommen hatte. Aber natürlich stimmte es schon, dass man überhaupt Rollen verteilt hatte. Die Frau gilt ja irgendwie in vielen Köpfen als das tradiert „schwache Geschlecht“. Das hielt ich an sich schon immer irgendwie für schief. Irgendwie war ich in einer Art Blase groß geworden. Ich akzeptierte zwar seit jeher die Differenz beider Geschlecht, wenn es aber um individuelle Konfrontationen gab, kannte ich genug starke Frauen und schwache Männer. Ich kannte Leute, die krampfhaft an ihren Klischees festhielten und welche, die krampfhaft dagegen antraten. Mit fünfzehn lernte ich zwei ältere Frauen kennen, die aktiv feministisch kämpften und die mich sehr sensibel stimmten für meine Sprachverwendung. Ich erkannte aber auch, dass trotz ihres harten Kampfes um die Aufmerksamkeit und die würdige Akzeptanz oder besser: die akzeptierte Würdigung der Frau, der Widerstand, den die beiden erfuhren, beinahe noch radikaler war. Und diesen Widerstand konnte ich nie wirklich verstehen. Von daher war ich grundsätzlich immer schon auf der Seite der Feministinnen: Deren Anliegen konnte ich wenigstens nachvollziehen, das der „Patriarchen“ irgendwie nicht.
Wie sagte eine Freundin einmal über mich: du bist mehr der, der nach Gemeinsamkeiten sucht als nach Unterschieden.
Und dann war da diese Zeitschrift über die Frage des Mannes. Ich wusste ja, dass ich einen Sohn bekommen würde und so hob ich die Zeitschrift auf. Mich amüsierte und irritierte gleichermaßen, dass auf dem Deckblatt dieser Zeitschrift als Inbegriff des Mannes „Kermit der Frosch“ abgebildet war. Und noch mehr faszinierte mich ein Artikel, worin ein Journalist auflistete, was ein Mann heutzutage alles mit seinem Sohn machen sollte, um ihn auf seine brüchige Existenz als Mann vorzubereiten. Eine Sache blieb mir sehr stark in Erinnerung: Einen Western sehen.
Bei Rollenbildern geht es oft darum, dass man ein Rollenvorbild hat. In Kinderbüchern tauchen Frauen oft als verwöhnte, hofierte Prinzessinnen auf und der Mann als der Erlöser, der Retter, der Macher. Man kritisiert zurecht, dass Frauen ein Rollenvorbild als Macherin bräuchten und Heidi, Pipi Langstrumpf, Ronja Räubertochter, … ich weiß nicht, die werden vergessen. Zumindest von modernen Kinderbuchautor/inn/en. Ich las meiner Tochter einmal König Drosselbart vor und war überrascht, wie sehr mich diese Geschichte, die ich als Kind witzig fand, heute abstieß. Dieses Erziehungsideal, der Mann müsse sich die Frau zurecht biegen, gefiel mir überhaupt nicht. Aber ich las es vor und machte mich mit meiner Tochter über dieses dumme, verwöhnte Mädchen lustig, das wirklich eine Lehre verdiente. Aber auch über den Prinzen lachten wir, weil er nicht nur lächerlich aussah, sondern auch dem gemeinen Mädchen gemein begegnete.
Das macht vielleicht nicht jeder, aber ich las ihr in den kommenden Abenden trotzdem Drosselbart vor. Es ist ja nicht so, dass dieser Prinz einem gefallen muss. Wem gefällt es denn, dass zwei Geschwister andernorts eine Hexe verbrennen? Märchen sind eine andere Welt mit anderen Gesetzen. Und das ist der Reiz daran, dass man sich auch an ihnen reiben kann. Ich wollte übrigens auch mit meiner Tochter einmal einen Western ansehen, nicht nur mit meinem Sohn. Aber ich finde nicht den perfekten Zeitpunkt dafür. Oder den perfekten Western.
Ich weiß auch nicht, ob diese Art von Männlichkeit von Frauen angestrebt werden sollte?
Rollenbilder.
Ich erinnere mich, dass als wir in die Pubertät kamen, die Erkenntnis hatten, dass alle Mädchen sich für den Arschlochtyp interessierten und nicht für die nice guys. Das hatte uns in der Pubertät mehr geprägt, als König Drosselbart. Keiner von uns hat sich als Prinz Arschloch verkleidet und dann das Mädchen umerzogen, bis sie uns um unser selbst willen mochte. Da wäre es mir eiskalt den Rücken runtergelaufen.
Es gab eine Zeit, da glaubte ich doch tatsächlich, Rollenbilder entstünden dadurch, dass die einzelnen Rollen sich aneinander und an den Umständen ihrer Zeit rieben und abarbeiteten.
Zum Beispiel sah ich irgendwann ein, dass auch ich die Wahl hatte, ich konnte einfach die Mädchen für uninteressant halten, die den besagten Arschlochtyp präferierten. Als man sich von denen abwandte, sah man, dass es auch andere Mädchen gab mit anderen Vorstellungen. Und dann sah man dadurch, dass es nicht die eine Art von Mädchen gab, sondern ganz viele. Und dass es ganz viele Arten von Jungs gab. Durch die Auseinandersetzung mit der Rollenvorstellung, die an einen gerichtet war, konnte man erst Identität entwickeln. Keiner von unserer Generation wollte (behaupte ich jetzt einfach mal) die perfekte Entsprechung der Rolle sein. Ein Abziehbild, das war nicht erstrebenswert. Aber sicher doch: Die Bilder haben uns geprägt und es gibt viel mehr hübsche Mädchen in der Vorbildszene als emanzipierte, ungeschminkte Frauen, deren Weiblichkeit in Intelligenz und Rückrad zum Ausdruck kommt.
Da kommt es ganz gut, dass mein Naturel mich immer zum Underdog hinzieht. Das mag ich übrigens auch an Western. Der Underdog übt einen Charme aus, der seines gleichen sucht. Ganz ehrlich: das perfekte Rollenmodell hat doch jeder zu Hause – eingerahmt in einen Kasten made by Netflix. Das Bild vom perfekten Mann? Wird mit Sicherheit genauso enttäuschend wie das Bild der perfekten Frau.
Aber bitte nicht falsch verstehen: den Gender-Kampf, der Feminismus, die Diskussion um Gleichberechtigung, das alles ist notwendig und wichtig meiner Ansicht nach. So lange man weiß, worüber man streitet, nicht um die Frau oder den Mann, den man einmal heiraten möchte, oder der oder die man eines Tages sein möchte. Das entsteht wie gehabt durch Reibung, so wie der Fluss die berühmten Kieselsteine formt. Man streitet um ein Vor-Bild, um die Vorstellung, wohin dieser Fluss eines Tages fließen wird. Kurve links? Kurve rechts? Oder doch eine Begradigung hier oder da?