Mobbing – deleted Scene

Nicht alle Kapitel schaffen es in die endgültige Version. Ein paar Szenen müssen der Schere zum Opfer fallen. Beim aktuellen Jugendroman müssen die folgenden raus. Definitiv. Zu viele Probleme für die Handlung. Zu viele neue Charaktere, die einfach nur auftauchen und nie wieder eine Rolle spielen. Aber der Gedanke dahinter gefällt mir und deshalb poste ich es jetzt hier, ohne dass ich es je überarbeiten werde.

17

Ich war noch in der Grundschule, als ich die erste Schlägerei mitangesehen hatte. Zwei Schüler, die gerade erst von unserer Schule auf die weiterführende gewechselt hatten, waren unsere Schule besuchen gekommen. Und dann standen sie auf dem Schulhof und sie sah total verändert aus. Ich erinnere mich noch, dass ich damals gedacht hatte, die Weiterführende würde die Kinder verändern. Das waren ganz andere Kleider als früher, eine ganz andere Art, sich zu geben und da hinten an den Kletterstangen rumzustehen. Und erst Recht: es war eine ganz andere Art, wie sie uns ansahen.

Ich wurde damals immer von einem meiner Eltern oder sogar auch das ein oder andere Mal von Onkel Renard abgeholt. Einer brachte mich immer nach Hause. Das hatte damit zu tun, weil es doch drei Hauptverkehrsstraßen auf dem Weg zwischen der Grundschule und unserer Adresse gab. Ich fand das damals nicht peinlich und finde es heute immer noch nicht peinlich, dass meine Eltern mich abgeholt hatten. Aber die Jungs an den Kletterstangen, die wurden garantiert nicht mehr abgeholt oder gebracht. Die durften komplett allein in ihre weiterführende Schule gehen.

Ich erinnere mich nicht mehr, wie es genau angefangen hatte. Aber Tomasz, der kleine, quirlige Ungar mit der spitzen Nase und der beim Sprechen schlackernden Zunge, war pltzlich im Schwitzkasten von einem der großen Jungs.

Der andere lachte und wand sich dabei, krümmte sich regelrecht. Mit seinen zugepetzten Augen drückte er hämische Spotttränen ins Tageslicht.

„Du weißt nicht, was es ist?“, johlte der, der ihn im Schwitzkasten hatte. „Ich zeig dir, was es ist!“

Tomasz ächzte, brachte aber keinen Laut zustande.

Ich weiß, dass es albern klingt, aber für mich sah es so aus, als ob der Junge Tomasz ausdrücken wollte wie eine Saftpresse eine Zitrone. Diese große Saftpressen mit den Hebeln. Man drückt den Hebel herunter und gewaltsam presst ein Stempel der Zitronenhälfte

(Tomasz)

den Saft aus.

„So geht das!“, johlte der Junge immer wieder. Und während er presste, machte er ganz merkwürdige Hüpfbewegungen. Später begriff ich, dass er so etwas aus dem Fernsehen hatte, vom Wrestling.

Und keine Ahnung, wie weit es gekommen wäre, wenn nicht ein schriller Pfiff den Hebel nach oben gedrückt hätte. Herr Wiebusch, der alte Sportlehrer, kam angerannt und stieß dabei immer wieder und wieder in seine versilberte Trillerpfeife.

„Ihr bösen Kinder!“, kreischte er mit einer sich überschlagenden Stimme. „Lasst ihn los. Lass ihn so-fort los!“, schneidend und mit einer derartigen Härte, dass die beiden Jungs Tomasz nicht nur losließen, sie erstarrten sogar.

Wiebusch packte die beiden an den Armen und zerrte sie mit sich. Aber wohin auch immer mit ihnen wollte, weit sollte er nicht kommen. Denn es waren auch Lehrer auf die Szene aufmerksam geworden. Auch unsere damalige Klassenlehrerin, Frau Martini. Sie stellte sich Wiebusch in den Weg und erkundigte sich, was passiert sei.

In seiner Beschreibung mischte sich immer wieder der Ausdruck „böse“ in allerlei Variationen. Er nannte das Verhalten „bösartig“, nannte die Jungs „durchtrieben und böse“, „böses Blut“, „böse Augen“.

Bis Frau Martini ihn endlich mit einer heftigen Bewegung aber ein ungemein ruhigen, fast schon sanftmütigen Stimme unterbrach:

„Mir ist es egal, was Sie denken oder fühlen, Wiebusch. Aber es gibt das Böse nicht auf dieser Welt. Es gibt Schlimmes. Aber nichts Böses.“

 

 

 

18

Es gibt Schlimmes. Aber nichts Böses.

Tut mir leid, Frau Martini, aber es gibt doch noch etwas dazwischen. Es gibt etwas zwischen dem Schlimmen und dem Bösen. Es gibt Wildes, meinen Sie nicht?

 

Was sagt ihr dazu?