Mein verlorener Ort – Berlevåg

Und wieder und wieder Wellen. Wasser und Fels. Grau und Schwarz. Ein Labyrinth aus grobkantigem Gestein. Das Gefühl, unbedeutend zu sein, steigt, gemeinsam mit den Schwingen des Kormorans, der sich jetzt abstößt, jetzt, hinter dem Fels in die Luft. Dem eisigen Wind trotzt, der mir entgegenatmet. Trotzt durch den Sprühnebel der Meergewalt. ...

Wie ich Schuld trage

Wie ich Schuld trage: Wie ein Geheimnis Mit dem Gewicht eines steinbewölkten Firmaments Mit wachsendem Unterdruck Weil die Himmel sich auftürmen Und das Leben an Tiefe gewinnt Wie ich Erinnerung trage: Wie ein Halten von Atem In Lungenflügeln, Die in den Brustkammern bis zum Äußersten Auf die Auflösung gespannt sind Wie ein Apnoe Der nicht sinkt Dem die Oberfläche davonzieht Und der noch die Himmel über den Wassern Zu spüren beginnt Wie ich Fehler trage: Als Loslösung Ihr Sinken - mein ...

Die Kinder von Hameln (2017 – revisited – urbietorbi)

Ich seh in den Augen der Kinder: Diese Tage sind schwarz und schwer Wie die Regenasche auf toten Städten Wie Ascheregen zwischen zwei Sekundenschritten. Ich seh in den Augen der Kinder: Diese Tage sind endlos und zäh Wie von Hungerschwämmen verwischt Wie von Schwemmfluten radierte Horizontwege In den Augen der Kinder Spiegeln Straßen sich weit ins Irgendwoirgendwann Diese Tage sind verschoben und jäh Ich seh: Straßen, die ausweglos sind Augen der Kinder Die offen bleiben Während andernorts Man ...

Treibgut

Zwischen den Bildern
der Zeit
gefunden ein mit Hand
beschriftetes
flaches
Scheibchen aus      Holz.
Nur ein einzelner Name
darauf, darin.
Leise schlägt weit entfernt
die Saite in meiner eigenen Zeit
an. Ich erinner mich nicht.
Brennend aber weckt der Traum
seines Rauches in mir
tränende Freude.

I.M.

Glockenschlag. Alle sieben Sekunden.
Trauerzug. Schweigend den Abschied bekunden.

Vogelzug. Schwarz den Namen in den Nebel graviert.
Herbsttag. sanfter Gelbblättertanz, der den Lebenswegrand flankiert.

Wortwind. Denken im Stoßatmungsabstand.
Novemberblind. Leben und Tod: im Handinhand.

Wovon ich träume

Ich träum vom Geräusch Lautloser Kriegsmaschinen Weil ich weiß, dass Krieg heute stumm ist. Und überall unsichtbare Soldaten: Krieg, von dem alle reden. Ich träum vom Geruch Der Rauchsäulen der Himmelskuppeln, Die den Horizont säumen Wie Grenzwächter mit schwarzen Gewehren. Weil jeder weiß, dass Krieg heute unsichtbar ist, Gespielt hinter den Kulissen. Von morallosen Spielern Mit dem ältesten Einsatz der Welt: Das Blut der Anderen. Ich träum von den Wünschen, Aus denen Kriege geboren ...

Der Rotherbst liegt über St. Johann

Der Rotherbst liegt über St. Johann Vor letzten Cafés sitzen letzte Männer vor letzten Bieren Und schauen über den Samstagmorgen hinweg In die rotwangigen Passanten hinein. Unter deren Füßen kleben die Blätter Von alten Spielkarten mit Bild nach oben, frisch Von den Bäumen geweht und knisternd Treibt von jenseits der Häuserwand Saarwind herbei. Ich erinner’ mich, als ich einmal hier gesessen Traumverloren den Wolken beim Austeilen der Karten zugeschaut Auf den Lippen der letzte Geschmack ...

Was sie Liebe nennen

Sie nennen's Liebe
Und es ist Schmerz.
Sie predigen Lüge,
Ein wahrer Scherz.

Sie treiben Pfeiler
Zwischen uns
Und rufen: Heiler
Wir kenn'n uns aus!

Erzählt mir nichts von
Moral und Leben,
Von Kraft und Mut!
Schweigt mir vom Reden!

Sie sind die Klingen
Dieser Welt
Über die du springst
Wenn du fällst!

Herr, lass es regnen!
Am besten Blut.
Herr, lass es regnen!
Es ist genug.

Der Fürst

Vorwort Mein Großvater erzählte mir immer gerne von früher. Und ein paar seiner Geschichten schrieb ich mir anschließend heimlich auf. Dafür hatte er mir ein kleines Notizbuch geschenkt, eine schwarze Kladde mit ganz dickem Einband und zart karierten Seiten. Als ich etwa fünfzehn Jahre war hatte ich eine seiner Geschichten auf eine Art aufgeschrieben bekommen, dass ich richtig stolz auf mich war. Ich hatte hier nämlich das Gefühl, dass mir etwas Besonderes gelungen war. Es war das erste ...