Der Kyniker Diogenes Laertius sagte einmal: „Ein reicher Mann ohne Bildung ist ein Schaf mit goldenem Vließ.“
Oh, ich liebe die Zyniker. Der Kynismus ist genau meine Sache. Der Begründer dieser Schule ist nicht, wie man landläufig vielleicht vermuten mag, dieser ältere Mann, der in einem Fass lebte, sondern eigentlich gilt Antisthenes von Athen als erster Kyniker. Und dieser wiederum war einer der Fans des Sokrates. Erst sein Schüler war der berühmte Diogenes und erst dem gelang es a) den Namen zu prägen, der sich von der Lebensweise eines Hundes (Hund = kyon) ableitete und b) im wahrsten Sinne des Wortes Modellzyniker zu werden. Um ihn ranken sich die meisten Anekdoten und Geschichten. Aus denen heraus, man oft das Gefühl hat, dass der Zynismus eher lächerlich gemacht wird. Aber das ist irgendwie naheliegend. Denn der Zynismus ist gesellschaftlich eher destruktiv eingestellt. Es geht hier nicht allein um Askese und die Abkehr von zivilisatorischen Mitteln, indem man nicht in einem Haus, sondern in einem Fass wohne, oder man einen großen Feldherren wie Alexander nicht artig als Groß und dadurch ehrfürchtig gegenübertritt, indem man ihm sagt: „Geh mir aus der Sonne.“
Die Zyniker waren Männer der Tat und nicht der Worte. Sie lebten genau so, dass sie dem Idealbild ihrer Theorien entsprachen. Wenn sie also Reichtum kritisierten („Nacktheit ist besser als jedes Purpurkleid“ [Epiktet]), dann lehnten sie folgelogisch Reichtum auch konsequent ab. „Adel und Ansehen und alles derart ist nichts als eine schmückende Hülle der Minderwertigkeit.“, sagte Diogenes. Oder: „Ruhm ist ein Lärm, den rasende Menschen machen.“, wieder Epiktet.
Wundervoll, oder?
Und so modern.
Ich warte darauf, heutzutage eine neue Zyniker-Schule irgendwo anzutreffen. Leute, die wie Stobaes sagen: „Weder in einer reichen Stadt, noch in einem reichen Haus kann Sittlichkeit wohnen.“
In einem der reichsten Häuser wohnt jetzt einer, der Ruhm unfassbar lärmend von sich gibt. Die moderne Welt erlaubt es ihm. Wir können auf der ganzen Welt gehört werden und – seien wir ehrlich – je reicher wir sind, umso eher werden wir auch in diesem neuen Medium von der Masse abgehoben und von der selben Masse gehört.
Das Internet, namentlich Twitter, ist ein Ozean an Lärm. Schillernde Gestalten treiben an der Oberfläche. Und lärmen und lärmen und lärmen.
In der Zeitung stand vor einiger Zeit, dass als dieser Milliardär mit seinem Autokorso unterwegs war zu seinem Regierungssitz, eine Frau vom Fahrrad aus ihm den Stinkfinger als Beleidigung entgegenstreckte. Absurderweise wurde das Bild von der Masse „geliked“. Sie fand also Zuspruch. Und damit war die Masse auf einen Schlag auf der Seite desjenigen, den sie eigentlich ablehnten. Die Masse war auch zu Lärmenden geworden. Das Lärmen war mit einem Mal nicht nur populär, es war Tagesordnung. Es wird im Internet ja schon seit einiger Zeit kritisiert, dass man lärmt und wütet, hetzt und zetert, Gift und Galle speit. Aber in der Wirklichkeit doch nicht, oder?
Ich fahre durch kleine Städtchen und sehe die Reichskriegsflagge in einem Vorgarten direkt an der Hauptstraße gehisst. Riesengroß. Ein Statement gegen Solidarität, Freiheit und die Demokratie. Ein Lärmen, wie es lauter mit einem flatternden Bild fast gar nicht mehr geht. Und dass die Flagge da hängt ist nicht halb so irritierend, wie die Tatsache, dass sich niemand daran stört. Und dass es immer mehr werden. Dass in Gärten diese Fahne zuckelt, mit einem unverhohlenen Stolz, während in den Zeitungen von Verantwortung der Demokratie gegenüber die Rede ist.
Das goldene Vließ ist so strahlend golden, dass es jeder in seinem Besitz haben möchte. Jeder schmückt und ziert sich also mit ähnlichem Gold und sonnt sich darin, in der großen Masse des Lärmens auch irgendwo durch seine Lautstärke gehört zu werden.
„Das Wertvolle wird um ein Nichts verkauft und umgekehrt.“, warnte Diogenes. Das Wertvolle, das, was nackt mehr Wert ist: Die Hunde waren für eine unfassbar tief empfundene Menschlichkeit. Eine, die unglaublicherweise weltumfassend war: „Die einzig richtige Staatsordnung ist die Weltordnung.“, auch Diogenes.
Die, die wie Hunde lebten, sich Hunde nannten, waren tief beseelt von der wahren Menschlichkeit und verabscheuten die Art von Menschlichkeit, die durch die Oberflächlichkeit, die mit zivilisatorischem Plunder einher kam, zugedeckt wurde.
Das goldene Vließ hält ja überhaupt nicht warm. Und so toll es auch aussehen und bewundert werden mag, darunter ist doch nur ein Schaf.
Rasende Menschen sind es, die den Lärm machen, weil sie dadurch signalisieren, dass sie eigentlich Ruhm wollen. Und tragischerweise seit eh und je erhalten, anstatt dass man den Ruhm denen zukommen ließe, die ihn sich erwerben, verdienen.
Was im Großen funktioniert, funktioniert auch prima im Kleinen.
Ich wette, dass am Stammtisch dieser Flaggenhisser mit stolz geschwollener Brust von seinen Freunden begrüßt wird und dass man sich so sehr feiert und lobt, dass man sich geborgen fühlt, auf eine Art, die einen Strahlen lässt, so als wär die ganze Haut aus purem Gold.
Die Tragik besteht aber nicht darin, dass sich die Zeiten irgendwie spiralförmig wiederholen. Die Tragik besteht, dass Worte im Zeitenstrom untergehen, die aber oben treiben müssten.
Mein lieber, hochgeschätzter Diogenes Laertius, du sollst das letzte Wort haben:
„Man muss so lange Philosophie treiben, bis die Feldherren als Eselstreiber erscheinen.“
Hab Dank.
Ein herrlicher Beitrag, danke dir.
Danke.
Manchmal ist es faszinierend, wie uralte Worte zur heutigen Zeit passen.
Und manchmal ist es erschreckend.
Das liegt daran, dass der Mensch sich nicht ändert. Wir lernen nichts aus der Vergangenheit, jedenfalls nichts, was das menschliche Grundwesen nachhaltig verändern könnte oder würde. Einerseits ist das schade, natürlich. Andererseits jedoch ist es gerade dieser Um- oder Zustand, der uns demütig, und manchmal auch wehmütig, auf die grossen Denker, Zyniker und Philosophen der Vergangenheit zurückblicken lässt, nicht wahr?
Das schöne an den Zynikern: sie glaubten an das Menschliche. Ich lese sie als sehr positiv eingestellte Philosophen. Umso negativer sie bewerten, etwa die Brillianz der Dummheit der Reichen gegenüber, entsteht automatisch ein Gegenpol: die Brillianz der Klugheit der äußerlich Armen, also der im Innern Reichen.
Das gibt doch Hoffnung für unsere Gen.😜
Wo kämen wir auch hin ohne die Hoffnung und ohne diesen Glauben an das Menschliche? Was sonst würde uns bleiben? Schreib bitte munter weiter, ich lese dich gerne. 🙂