1 – Methodik in der ersten Corona Zeit

Ein kleiner Erfahrungsbericht …

 

Die Corona-Zeit erfordert ein radikales Neu-Denken von Unterricht. Das haben wir alle schon gemerkt. Zahlreiche Lehrerinnen und zahlreiche Schülerinnen sitzen zu Hause und das neue Modell trägt den formvollendet modischen Namen „Homeschooling“.

Ein Glück, dass in Zeiten von Sozialer Distanz wir ausgerechnet die in den letzten Jahren immer wieder als A-Soziale Medien verdammten Dienste zur Verfügung stehen haben, um Schülerinnen und Schülern es zu ermöglichen, nicht auf der Bildungs-Strecke zu bleiben.

Erst einmal war es nur grob ein Monat, in dem Unterricht ausfiel. Da sind die Bildungs-Schäden noch überschaubar. Seien wir ehrlich, in der aktuellen Zeit verpassen die Kinder nicht so viel, dass es bleibende Bildungs-Schäden hinterlassen würde – allerhöchstens im berühmten Einzelfall. Aber schön wäre es doch, wenn es wir die aktuelle Situation nutzen könnten, das technische Potential perfekt zu nutzen.

Die Gefahr dabei ist nur, dass aus der Notwendigkeit heraus plötzlich allerorts die Technik-Apologeten aus ihren Löchern springen und Homepages und Modelle vorschlagen, die am Ende bloßer Aktionismus sind.

Für mich bedeutet eine Unterrichtsmethode immer, dass sie auch einen pädagogischen Gewinn haben sollte. Vor Corona hätte ich gesagt: Im Optimalfall kann ich mit der Technik z.B. einen Text auf eine Art und Weise gewinnbringend untersuchen, wie ich es analog entweder sehr umständlich, zeitraubend oder sogar gar nicht gekonnt hätte. Nun, da wir alle homeschoolen muss ich ergänzen: Und hauptsache ich kann einen gewinnbringenden Unterricht über die räumliche Distanz hinweg gestalten.

 

Mir ist bewusst, dass es verschiedene Unterrichtsphilosophien gibt, und daher ist es nötig, in einem ersten Schritt zu klären, welcher Philosophie ich folge und für welche Fächer ich rede. Letzteres ist schneller beantwortet: Ich unterrichte Deutsch, Philosophie und Ethik. Also textbasierte Geisteswissenschaften. Mein Eindruck von vielen Gesprächen und von Beobachtungen der Plattform „Twitterlehrerzimmer“ auf Twitter ist, dass es für viele Naturwissenschaften einfacher ist, gewinnbringend die modernen Medien zu nutzen als für Geisteswissenschaftler. Dieser Eindruck liegt vielleicht in meinem skeptischen Naturell, aber auch darin begründet, dass ich nicht einfach nur Informationen übermitteln möchte oder einfache Abfragen gestalten möchte, die sich mit einem Kahoot oder einem Quiz problemlos erledigen lassen. Warum?

Weil es mir komplexe Analysen und Interpretationen geht und noch viel mehr: Es gibt mir um einen schülerorientierten, handlungs- und problemorientierten Unterricht. Quiz-Modelle wie Kahoot erfüllen maximal meine Liebe für auf Gamification basierten Unterricht. Aber auch das nur oberflächlich.

Von daher war mein erster Ansatz, es so simpel wie möglich zu halten in den letzten Wochen und zu schauen, wie ich damit ein Maximum an Lerneffekten erreichen kann.

Jede Schule hat in dieser Zeit ihre individuellen Rahmenbedingungen geschaffen, an denen man nicht vorbei kam. Bei uns bedeutete das die Arbeit mit MS Teams. Es dauerte etwas weniger als eine Woche, um damit vertraut zu werden. Die Plattform ist größtenteils selbsterklärend, wenngleich ich oft das Gefühl hatte, man wollte viel zu viel damit erreichen. Begeistert war ich von der Funktion, Aufgaben zu erstellen, sie mit meinen Oberstufenkursen zu teilen, eine Deadline festzulegen (die aber nicht zwingend eingehalten werden musste) und dann jede Aufgabe einzeln einsehen zu können, wo ich sie sowohl bearbeiten als auch mit allgemeinen Rückmeldungen versehen konnte. Diese Funktion erleichtert mir den Alltag garantiert auch, wenn die Isolations-Zeit zu Ende gegangen ist und der Alltag wieder einkehrt.

Aber welche Aufgaben man nun stellt, varriiert von Lehrer zu Lehrer.

Es gibt den Lehrertyp, der einfach Aufgaben raus schickt mit dem Vermerk: Ihr habt Zeit bis Ende der Woche. Der Eindruck bei den Schüler*Innen ist sicherlich: sie haben die Arbeit und der Lehrer die Zeit. Aus Respekt wurde vielerorts Frust. Diese Methode eignet sich sicherlich für Mathematik besser (Rechnet alle Aufgaben von S. 1 – 10 bis zum Ende der Woche) als für eine in Arbeit an und mit Lessings Nathan der Weise. Wie hätte das aussehen sollen? „Lest das Buch und beantwortet die folgenden Fragen“ – erlaubt entweder reine Inhaltsabfragen oder ein sehr lehrerfixiertes Textverständnis.

Für diese Methode spricht allenthalben, dass man als Lehrer das Wetter genießen konnte.

 

  • Die Arbeit mit Word

 

Die erste Strategie, die ich wählte, war ganz simpel Word zu nutzen. Ich schickte den Schüler*Innen ein Worddokument und bat zunächst darum, den Text zu lesen und anschließend mit Hilfe der „Kommentar“-Funktion den Text zu bearbeiten. Die Kommentarfunktion war den Schülern zunächst allen nicht vertraut und deshalb will ich sie hier ganz kurz anreißen: Man markiert im Word-Dokument ein Wort oder einen Satz oder sogar einen ganzen Absatz und drückt im Menüpunkt „Einfügen“ den Unterpunkt „Kommentar“. Der rechte Seitenrand des Dokuments vergrößert sich und es erscheint eine Sprechblase, die mit der ursprünglich markierten Textstelle verknüpft ist. In dieses Kommentarfeld kann man nun Gedanken zur markierten Stelle eintragen. Ich testete dieses Werkzeug auf mehrere Arten aus. In dem ersten Fall ging es um die Lektüre „Der gute Gott von Manhattan“ von Ingeborg Bachmann. Der Text, den die Schüler erhielten war ein Sachtextauszug aus Christopher Laschs: Das Zeitalter des Narzissmus. Der Arbeitsauftrag lautete, den Text zu lesen und alles zu markieren, was an die Liebe zwischen den Protagonisten erinnert oder an die Einstellung des Guten Gottes zur Liebe. In die Kommentarblasen sollte die Markierung dann begründet werden. Die Ergebnisse waren in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Denn auch Kommentare kamen vor wie „diese Textstelle habe ich erst nicht richtig verstanden, aber ich bin mir sicher, der Gute Gott würde zustimmen, weil …“ und damit deutete sich bereits an, dass die Schüler dem Bedürfnis folgten, über die Literatur reden zu wollen. Sie wählten Formulierungen, die es fast zwingend machten, unmittelbar darauf einzugehen, also zu wirklich einzelnen Kommentaren Stellung zu beziehen.

Genau diese Funktion ermöglicht MS Teams. Die dort eingesandten Word-Dokumente lassen sich auch in MS Teams bearbeiten. Und eingefügte Kommentare können weiter kommentiert werden. Theoretisch nutzte ich diese Qualität. Ein deutlich größerer Reiz war aber dann doch noch ein anderer:

Von Anfang an verrieten mir meine Schüler*Innen, andere Lehrer gäben Musterlösungen heraus, ob ich das auch tun könne. Von einer sehr ehrlichen Haut erfuhr ich, dass man sich die Existenz von Musterlösungen zu Nutze machen wollte, indem man gar nicht die Aufgaben bearbeitete, sondern auf die Musterlösung warte, um dann mit dieser eigenständig zu lernen. Die eigentliche Message war also, dass man nicht eigenständig Dinge sich erarbeiten und verstehen wollte, sondern anhand von Musterlösungen rekapitulieren wollte, wie der Stoff zu händeln war. Auch dies wieder eine Sache, die man m.E. bei Literatur oder Kunst nicht anwenden kann. Es gibt bei vielen Geisteswissenschaften zwar falsche Antworten, aber das bedeutet längst nicht, dass es die eine Richtige Lösung gibt.

Ich erlaubte dennoch, dass drei Schüler*Innen ihre Arbeiten als Musterlösungen in MS Teams publik einstellten. Hänge aber auch direkt den nächsten Arbeitsauftrag an: Begründet, wer von diesen drei die beste Antwort gegeben hat. Umso interessanter, da es sich nicht um drei unterschiedliche Antworten sondern um drei unterschiedliche Lösungsstrategien handelte.

Was sicher vielerorts bestätigt wird: digitale Diskussionen können ausgesprochen fruchtbar und konstruktiv sein.

 

  • Die Arbeit mit Word – Teil 2

 

Jetzt reizte es mich, zu sehen, ob die Kommentar-Funktion auch etwas enger benutzt werden konnte. In einem anderen Oberstufenkurs gab ich einen Brief Schillers heraus, der m.E. gut die Gedanken der Weimarer Klassik wiedergab. Ich hängte zwölf Fragen in den Aufgabenbereich. Diese Fragen sollten nicht einfach beantwortet werden. Sie sollten mit der Kommentarfunktion beantwortet werden. Nun musste man also die Textstelle finden, in welcher genau diese Frage thematisiert wurde, diese dann markieren und in die Kommentarblase in eigenen Worten eintragen, wie die Antwort nun lautet. Die spannende Beobachtung: Viel unterscheidet sich diese digitale Methode nicht von der analogen. Aber die Schüler lösten sich weitaus stärker vom Wortlaut des Ursprungstextes, als ich es von der analogen Arbeitsweise von ihnen gewohnt war. Woran das lag, kann ich nicht beurteilen.

 

  • Die Arbeit mit Word – Teil 3

 

Word bietet auch die Möglichkeit, Sätze farbig zu markieren. In Verbindung mit der Kommentarfunktion öffnen sich interessante Möglichkeiten, Gedichte zu untersuchen. Motivkreise können unterschiedlich farbig markiert werden, sodass in den Kommentaren gezielter geantwortet werden kann.

 

  • Powerpoint

 

Die letzte Methode, die ich heute hier vorschlage, ist die deutlich zeitaufwändigste, wie wir gemeinsam herausgefunden haben. Powerpoint war allen bekannt als eine Software, um Präsentationen zu erstellen. Dass man sie auch nutzen kann, um Gedichte zu analysieren, erregte bei allen Schülern großes Erstaunen. Zunächst erstellte ich eine Präsentation, wobei ich gemäß einer guten Präsentation zunächst ein gutes Einstiegszitat wählte, dann zwei Folien mit Hintergrundinformationen. Anschließend folgte das Gedicht Schillers: Der Antritt des neuen Jahrhunderts. Auf jeder Powerpoint Folie stand nur eine Strophe. Keine Überschrift. Nichts weiter. Die Aufgabe lautete nun, eine Präsentation auf eine Art zu erstellen, wie ihnen immer eingetrichtert worden war, es nie zu tun: mit vielen, vielen Animationen. Sie mussten sich nämlich vor Augen halten, dass sie ihre Analyse- und Interpretationsergebnisse nicht durch den Vortrag ergänzen konnten. Die Präsentation musste für sich selbst sprechen. Alles, was sie herausfanden, musste in der Vorführung der Präsentation sichtbar werden. Ich erklärte ihnen, wie man Texte animieren konnte, wie man in Powerpoint spezial effects einsetzen konnte, wie man Videos und Sounddateien einfügen konnte und war gespannt. Die Ergebnisse waren höchst verblüffend. Denn nicht nur kann man Texte über den vorgegeben Text reinspringen lassen, man kann auch den Text selbst durch die Präsentation zerlegen lassen um zu zeigen, dass ein einziges Wort einen enormen Einfluss hat. Man kann natürlich auch Bilder einfügen, etc.

Sicher war diese Methode nur einsetzbar, weil die Schüler*innen bereits grundsätzlich in Gedichtanalysen erprobt waren. Gedichtanalyse selbst, von der Pike auf, würde man damit sicher nicht machen. Denn dann wären die Hürden ja doppelter Natur: Analysieren lernen und Powerpoint erlernen.

 

  • Homepages und Services

 

Ich habe auch Mindmaps mit Mindmeister erstellt und ein Padlet zum Thema Dialoganalyse eines dramatischen Textes. Hierzu kann ich nur sagen, dass Padlet sich viel zu eingeschränkt präsentierte und weder mir noch den Schüler*Innen meiner Kurse sich eine größere Qualität von Padlet offenbarte. Mindmeister dagegen wurde sehr geliebt, weil die Homepage so schön simpel und gleichzeitig mit größtem Nutzen funktioniert. Weiteres beim nächsten Mal.

2 thoughts on “1 – Methodik in der ersten Corona Zeit

  1. Sehr interessant.
    Meine Frau unterichtet an einer Sprachschule DaF/DaZ.
    Sie hat gerade einen Kurs mit Analphabeten bzw. Menschen, die noch keine Schreiberfahrung mit lateinischer Schrift hatten. Sie kann da nur sehr wenig machen. Schon allein, weil ihre Teilnehminnen und Teilnehmer meist selbst Kinder zu Hause haben und sich nun ganztags um deren Betreuung kümmern.
    Aber es geht eben auch viel um den Dialog und der ist kaum zu organisieren. Der Schule fehlen dazu bisher die Mittel. Aber auch den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Kurse mit höherem Niveau können da schon mehr machen. Aber perfekt ist die Situation echt nicht.
    Auch sind viele Lehrkräfte dort auf Honorarbasis und im Moment de facto arbeitslos.

    • Sprachtraining und Grundlagenarbeit stell ich mir doppelt schwer vor. In den meisten Fällen muss man zudem ja auch die Mediennutzung beibringen. Und oft ist der erste Schritt gerade schriftlich. Als Videokonferenzplattform, mit der ich übrigens gute Erfahrung machte: jitsi. Man schickt einen Link und wer den anklickt, nimmt an der Konferenz teil. Via Video lässt sich wenigstens Grundlegendes erklären

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