Challenge accepted. Hier folgt der 12. Teil einer Reihe Kurzgeschichten. Der erste Teil ist bei Haerzenswort präsentiert worden. Seitdem geht es wechselweise hin und her. Heute: Essen hat Tradition.
Im Stockwerk über mir wohnt Gott. Er heißt Woziak. Eigentlich sieht er gar nicht wie Gott aus, sondern wie eine abgemagerte Version von Karl Marx. Die meiste Zeit trägt er grobe Rippunterhemden und dunkelblaue Jogginghosen. Er hat eine brummige Stimme und riecht wie ein Schnapsladen.
Wir treffen uns eigentlich immer nur im Treppenhaus. Meistens in der Kehrwoche. Ich habe schon versucht, ihm auszuweichen. Das würde ich als eine natürliche Reaktion bezeichnen. Aber wenn einer es drauf anlegt, dir über den Weg zu laufen, dann schafft der das auch.
„Du hast zu oft des Pudels Kern im Mops gesucht!“, schrie mir Woziak so unerwartet und so unfassbar laut entgegen, dass meine Einkäufe runterfielen und aufplatzten.
„Woziak!“, ich war stinksauer. „Meine Einkäufe. Meine Milch. Meine Eier!“
„Papperlapapp.“, knirschte er und setzte sich auf die Treppenstufe vor mich. „Hast sowieso nur Schrott gekauft. Seh ich von außen ja schon.“
„Herr Woziak, du verdammter Moralapostel!“, ich war heute stinksauer. Aber so richtig. Ich hatte auf der Arbeit schon genug Frust angesammelt. Und dann der kleine Streit mit meiner Frau, das nerv- und schlaftötende Geschrei von Dreimonatskoliken und dann noch Woziak. Danke. Aber NEIN DANKE.
Er bückte sich und für einen kurzen Augenblick dachte ich doch tatsächlich, er wollte mir helfen, alles wieder einzuräumen. Pustekuchen.
Triumphierend riss er die ersten Lebensmittel aus der matschigen Tüte: Ein tropfender Beutel Chiasamen.
„Superfood.“, rief er. „Grässliches Modezeug, das noch nichtmal ein hundertstel so gesund ist wie die Behauptung auf der Tüte angibt.“
Und die zweite Tüte: „Wow, also ehrlich, Nachbar. Tiefkühlgemüse.“
Ich riss es ihm aus der Hand.
„Es ist verdammtes Gemüse. Es ist gesund. Das Eis hält es frisch. Nixda. Die Vitamine gehen dadurch nicht kaputt.“
„Achso“, säuselte er. „Es geht dir um Vitamine.“
„Ja!“, bellte ich ihn an. „Ich wette, wenn Alkohol da drin wäre, hätten wir keine Diskussion.“
„Papperlapapp. Hunde und Katzen.“
„Was?“
„Äpfel und Birnen.“
„Ach sei doch still, Woziak.“, ich reiße ihm alles aus der Hand und packe es ein.
„Das war früher etwas anderes. Stell dir mal vor, wie die Geschichte vom Letzten Abendmahl abgelaufen wäre, wenn sie heute stattfinden würde. Jesus würde gerade ansetzen, zu verkünden, dass er eine geile Zeit mit seinen Moralaposteln gehabt hat, da klingelt auch schon das Handy und Judas entschuldigt sich und geht ran. ‚Amen ich sage euch, Einer von euch wird mich verraten und ausliefern.’, sagt Jesus. Und schon kommt Simon, der alte Zelot, natürlich zu spät zu Tisch und meint: ‚Sorry, ich hatte noch Arbeit. Stört doch niemanden, wenn ich während dessen mein Headset anbehalte. Erwarte noch einen wichtigen Anruf. Job und so.’ ‚Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den Menschensohn verraten wird.’ Andreas und Jakobus teilen das Brot und gehen rüber zum Fernseher, um auf der Couch zu essen. Bartholomäus ist gar nicht erst gekommen und keiner vermisst ihn. Johannes verschüttet das Trinken. Thomas kann es nicht fassen, dass er schon wieder eine Stunde in der Küche gestanden hat, und keinem schmeckt es. Mätthäus hätte sowieso lieber was vom Dönermann gehabt und Kananäus … lass mich nicht von dem anfangen. Der hatte sowieso keine Tischmanieren.“
„Wovon reden wir hier gerade, Woziak?“
„Davon, dass Essen heutzutage keine Rolle mehr spielt. Es ist keine Tradition mehr. Wir sitzen nicht mehr gemeinsam an einer Tafel. Jeder isst nur noch für sich. Es gibt keine Rituale mehr wie Tischgebete zu Beginn des Essens oder so lustige Sprüche, wo man von den Kindern im Kindergarten lernt. Es gibt keine Kochtradition mehr. Der, der kocht, ist meistens der Außenseiter in der Familie und der kriegt auch die ganzen Insider nicht mit. Und dann ist da noch der easy Way.“
„Der was?“
„Kochmaschinen. Zuerst war es die Mikrowelle. Jetzt ist es die Thermomix. Du wirst alle Zutaten in einen Topf und dann macht’s bing und jeder, der das Essen anschließend gewissenlos runterschlingt, wird fett und krank und unglücklich.“
„Naja, es kommt ja immer noch drauf an …“, beginne ich.
„Papperlapapp.“, macht er wieder. Scheint sein neues Modewort zu sein. „Es kommt auf nix an. Du kaufst auch nur Bio um dein Gewissen zu beruhigen. Und wie heißt es in diesem einen Lied: Mit 390€ Hartz kommt man nicht weit im Biomarkt. Komm jetzt mal ehrlich. In Deutschland gibt man lieber zu viel Geld für Motorenöl aus als für Olivenöl. Und dann haste in deinem Freundeskreis immer einen, der dir sagt: Parmesan wird gehobelt nicht geschnitten, der einmal die Woche auch Pommes in den Backofen schiebt.“
„Wir haben halt keine Esskultur mehr.“, stimme ich ihm zu. „Na und?“
„Na und, na und? Man ist, was man isst. Schon mal gehört?“
„So ein Käse.“, sage ich und freue mich über das Wortspiel. „Ich kaufe nicht das günstigste, aber für das teuerste reicht es eben auch nicht. Ich bin gestresst vom Leben und vom Alltag und habe nun wirklich nicht die Geduld, mich dann auch noch eine Stunde in die Küche zu stellen, und mich tot zu schwitzen, wenn ich punktgenau mein Entrecôte wenden muss.“
„Ja du hast Recht.“, meint Woziak überraschenderweise. „Wenn du so ein stressiges Leben hast, wäre ein gemütliches und entspanntes Kochen mit der Familie garantiert nur halb so wertvoll für dein Leben wie ein gestresstes Müllschlucken aus der Gefriertüte.“
„Du hast ja Recht, wenn ich einer wäre, dem Kochen Spaß machen würde, aber so ist es halt nicht. Ich bin so ein hundsmiserabler Koch, wie du ein hundsmiserabler Philosoph bist. Ich verbringe meine Zeit lieber qualitativ wertvoll mit meiner Familie …“
„Und pfeifst dir Chiasamen rein. Ist auch Spinat drin, für ein kräftig grünes Smoothie?“
Ich schnaube und werfe jetzt vor seinen Augen beide Einkaufstüten in die Mülltonne vor der Haustür. Da drin war eh nichts mehr zu gebrauchen. Ich muss noch mal einkaufen gehen, dämmert es mir. Eigentlich hab ich keine Lust darauf, mich noch mal durch den Supermarkt zu quetschen. Ich mag die Luft in diesen Buden nicht.
„Es wird einem aber auch leicht gemacht.“, sage ich jetzt etwas besänftigter. „Ich meine: es gibt nur einmal die Woche Markttag und da geht ja auch kaum einer hin, weil es zu denkbar ungünstigen Zeiten ist. Wenn jeder arbeitet. Und dann ist das Essen dort noch so teuer. Und keiner kann mehr kochen. Und …“
„Sind alles Ausreden, merkste selber, nicht?“
„Essen ist keine Zeremonie mehr.“, stimme ich ihm jetzt zu.
„Gäb auch viel weniger Alkoholiker“, sagte er dann. „Wenn wir alle viel mehr trinken würden.“
„Ok. Jetzt wird’s wieder blöd.“, sage ich und gehe los.
„Denk drüber nach: Wenn wir uns alle einmal die Woche treffen würden, um mal so richtig stilvoll das ganze Zeug wegzuziehen … Wer würde dann noch einsam zu Hause rumsitzen und sich die Birne wegtrinken?“
„Ich werde nicht durch dich zum Alkoholiker, Woziak.“, rufe ich über die Schulter und er antwortet:
„Noch ehe dein Handy dreimal klingelt, wirst du mich verraten haben, Petrus. Ich sag’s dir! So isses.“
Irrer Typ. Total irre der Kerl.
Ein Teil verpasst? Kein Problem. Mehr Woziak gibt es hier:
Erster Teil: Warum Frauen immer kalte Füße haben
Zweiter Teil: Warum der Regen heutzutage trocken ist
Dritter Teil : Spartaner und Barbaren
Vierter Teil: Bonobos rechtfertigen sich auch nicht
Fünfter Teil: Für mehr fußgängerfreie Zonen
Sechster Teil: Mission Impossible
Siebter Teil: Warum Woziak trinkt
Achter Teil: Frauentausch
Neunter Teil: Warum die Eiskappen schmelzen sollten
Zehnter Teil: Wie Woziak manchmal gestrickt ist
Elfter Teil: Warum Jobs unnötig sind