3 – Mein ganz persönlicher Untergang – ein Intermezzo
Die Fahrt ging durch den Wald.
Und selbst wenn die Sonne am Aufgehen war, hier würde es noch Stunden dauern, bis das Licht herkam. Richter hustete lauter als der Achsen knirschten, während sich der Bus die gewohnte Strecke in die Dunkelheit hinein wand.
Zwischen uns und der Schule gab es noch eine Haltestelle. Die lag etwa genau in der Mitte der Wegstrecke.
„Hast du das alles gewusst?“, fragte Silvy mich auf einmal.
„Ein wenig. Ich meine, ich wusste, dass er trinkt. Das hab ich ihm an der Nasenspitze angesehen. Und, naja, mein Vater meinte einmal: sein Rasierwasser.“
„Was ist damit?“
„Er riecht gegen Ende der Woche mehr nach Eau de Cognac als nach Eau de travaille, hat er gesagt.“
Sie brauchte einen Moment bis sie mich verstanden hatte. Dann lachte sie. Und wenn ich nicht schon mal in sie verliebt gewesen wäre, dann hätte ich mich grad jetzt zum ersten Mal in sie verliebt. Sie hatte dieses Lachen, bei dem es einem egal ist, dass man durch einen unheimlichen Wald fährt. Dass der Herbst mies und kalt ist, dass es einen friert bis auf die Knochen. Das einzige, was man sich wünscht, ist, dass sie nicht mehr aufhört zu lachen. Ihre dunklen Augen verwandelten sich. Das Kalte darin verschwand, so als würde im Zeitraffer der dünne Frost, der darauf lag, knirschend tauen. Die Wimpern, diese gottverdammten Seelenfänger, strahlten wie Scheinwerfer in meine Richtung. Sofort explodierte eine Schmetterlingskanonade in meiner Brust und ich spürte, dass ich rot wurde, was mir nichts ausmachte, weil es in diesem Methusalembus so dunkel war wie draußen.
Wir hielten an der Haltestelle an und Silvy beugte sich an mir ein Stück vorbei, um Richter weiter genauer untersuchen zu können. Dabei streifte ihre Hand mein Knie. Und alles was ich dachte war: Scheiße, ich verliebe mich schon wieder in meinen ganz persönlichen Untergang.
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