Die postheroische Zeit (Essay)

 

Im Radio wurde diskutiert. Und nichts lieber ist den Moderatoren in ihrer Diskussion, als wenn es um den Zustand im Land geht. Denn Zustände sind immer an bestimmten Ereignissen ablesbar, Ereignisse, die sie Symptome nennen und eifrigst interpretieren und von allen Seiten her auflösen, wie man auch einen Jahrhunderte alten Wald von allen Seiten her auflösen kann, um ihm schließlich auf den wertvollen und ach so schmutzigen Braunkohlegrund zu kommen.

Man diskutierte in diesen Tagen viel um die Funktionstüchtigkeit der sich über alle Belange streitenden Regierung des Landes. Da kam ein Professor doch mit einem Mal zu der Formulierung:

„Das eigentliche Problem ist, dass wir in postheroischen Zeiten leben, in welchen es viele nicht aushalten können, dass sich nicht alles eindeutig lösen und erklären und feststellen lässt. Doch gerade das führt zu einem Stabilitätsfanatismus, der die Grundfesten der Demokratie zu erschüttern droht.“

Die Diskussion lief munter weiter. Niemand klang erschüttert oder irritiert, dass der Professor in gleich wenigen Sätzen Worte wie ‚postheroisch’ und ‚Stabilitätsfanatismus’ verwendete. Sicher, ein namhafter Politiker stolperte in seiner Antwort darüber und offenbarte, dass er kein einziges Wort verstanden hatte, indem er ‚postheroisch’ mit ‚heroisch’ gleichsetzte und sich nur noch dadurch retten konnte, indem er davor warnte, „ach zu hysterisch“ zu werden.

Das schien für alle Beteiligten der einzig noch rettende Anker zu sein: man pflichtete sich bei, hatte nun endlich, nach langem diskursiven Ringen einen Konsens gefunden, ein Eiland der Gemeinsamkeit: Hysterie sei grundsätzlich fehl am Platz. Man erkannte: Überall sind eigentlich alle nur noch hysterisch. Die Politiker, das Volk, die einfache Mitte, das bildungsferne Milieu und das sie alle verbindende Element tragischerweise auch: die Medien! Man sei hysterisch, schüre mit Hysterie an der einen Stelle die Hysterie an der anderen. Man zeichne Katastrophenszenarien, Untergangsgeschichten, rufe Bilder von schrecklichen Vergangenheiten hervor und beschwöre die Gleichsetzung von Historie mit Hysterie.

In Rostock gäbe es ein Plakat, das einen landläufig bekannten Politiker mit Hilfe eines im Layout verrutschten i-Punktes wie zufällig als Hitler ‚de-maskiere’.

Das sei Teil dieser modernen Angstmaschine. Niemand habe Lust auf diese ewige Instabilität. Ist man jetzt konservativ oder gefährlich, nur weil man gern Sicherheit hätte? Ist man Fanatisch, nur weil man auf die Straße geht?

In Dortmund haben eindeutig als Neo-Nazis gekleidete Männer gerufen, die ganze Welt hasse die Polizei. In Hambacher Forst brüllten linke Aktivisten das gleiche. Es geht überhaupt nicht mehr darum, auf welcher Seite des Extremen man stehe, es gehe nur noch um das Destabilisierte.

Es gehe nur noch darum, dass das Volk sich unsicher fühlt und darum, wie es einer Partei gelingen kann, dieses Gefühl auszu… nunja … auszunutzen? Oder ist das passende Verb an dieser Stelle „auszulösen“?

Auf einmal sagt ein der Radiosendung zugeschalteter Hörer: Im Ausland lache man über Deutschland immer nur wegen zwei Sachen: einmal wegen unserer Humorlosigkeit und dann wegen der sprichwörtlich gewordenen German Angst.

Ja, stimmt der Professor mit dem katastrophal exakten Vokabular, in der Sendung zu. Die German Angst, der Ausdruck der eigenen Enge, die sich abschirmt gegen alles Fremde, Uneigentliche, Unbeständige, gegen alles Instabile eben. Wir mögen nun mal die Heimat. Am besten eine, in der alles einfach so ist wie man das liebt: vier Wände, vertraute Gesichter, vertraute Sprache, ein Weihnachtsbaum an Weihnachten, ein Wackeldackel auf der Fensterbank. Das macht noch lange keinen Stabilitätsfanatiker aus. Erst wenn er darauf besteht, dass sein Heimatland auszusehen hat wie sein Wohnzimmer. Brav gesäubert von allem, was er nicht kennt. Dann wird die German Angst zu einem Nationalismus, den man vor Jahren schon mal beerdigt zu haben glaubte.

„Aber hinter den Schöner Wohnen Tapeten in den deutschen Wohnzimmern stehen stabile Wände, die uns von unseren Nachbarn fernhalten.“

„Und wenn wir nur lange genug auf die Wände starren statt aus dem Fenster …“

„Dann bekommen wir ein ganz beklemmendes Land.“, meinte der Professor.

Was er darunter verstand, dass wir in einer postheroischen Zeit leben, für diese Erklärung hat die Sendezeit leider nicht mehr gereicht.

 

Was sagt ihr dazu?