FBM 2019 – persönliches Erlebnis – persönliche Eindrücke

Noch beim Frühstück war ich erschöpft. Ich hatte den Jüngsten auf dem Schoß, fütterte ihn mit einem Stückchen Brot und nippte ab und an am frisch gepressten Kaffee. Mein Freund saß gegenüber und fragte jetzt zum ersten Mal, wie es denn gestern auf der Buchmesse gewesen war. Schwierig darauf zu antworten. Ich zögerte, dachte darüber nach und dann erzählte er mir, dass er vor etlichen Jahren – damals noch Schüler – auch dort gewesen war.

„Die Buchmesse“, sagte er. „Ich bin als Schüler da rüber gewandert, von Stand zu Stand, und hab mich ernsthaft gefragt, was ich da sollte. Was das alles eigentlich sollte. Da ging es nicht wirklich um Literatur.“

„Naja“, sagte ich. „Eigentlich ja schon.“

„Ach komm, das ist reines Marketing und worum es da geht, um die Fantasie und die Geschichten, da geht es doch gar nicht drum.“

Unnötig zu erwähnen, dass mein Freund sehr idealistisch eingestellt ist und anti-kommerziell. Für ihn haben Dinge einen Wert, wenn sie das Leben bereichern. Und Literatur zählt für ihn zu einer erhabenen Sphäre der höheren Bildung, des Genusses und der Kunst im besten Sinne. Es zählt für ihn zu den selben Lebensbereichen wie Kulinarisches, Ästhetisches, Möbel, Genussmittel, Konversation. Kurz: Kultur.

„Es wurde auch vorgelesen.“, sagte ich. Er winkte ab: „Bestimmt nur in Auszügen, oder? Was bringt eine Geschichte, wenn man nur einen kurzen Einblick darin enthält? Was bringt es, ein Kapitel zu hören von Figuren, mit denen man noch nicht mitfühlen kann? Das ist im besten Fall Selbstdarstellung, im schlimmsten Fall Vermarktung.“

Er trifft da einen Punkt. Aber das ist ein wunder Punkt der Realität, wenn ich mich nicht irre. Und ich fragte zurück, was für ihn der Sinn einer Messe grundsätzlich sei. Aber dann wurden wir von den Kindern unterbrochen, die reinstürmten und Krawall machten in der für fünf Kinder viel zu kleinen Großstadtwohnung.

Ich glaube, die Messe hat ihren Sinn im Kern des Literaturmarktes, entgeht aber dadurch zwangsweise dem Wesen der Literatur. Das ist dem Hybrid des Marktes grundsätzlich verschuldet. Ich meine es Ernst: Der Literaturmarkt ist ein Hybrid: Es geht auf der einen Seite nur um Geld und Wirtschaft. Es geht darum, dass man Märkte erschließt, von sich hören macht, sichtbar wird, einflussreich wird, expandiert und ein Image pflegt und für diese Imagepflege scheint die FBM die zentrale Plattform. Auf der anderen Seite sind da aber zwei Parteien, die dabei außer Acht zu geraten drohen: die Autoren und die Leser. Bizarr, nicht wahr?

Nehmen wir die Leser zuerst in den Blick.

Die Messe war am Samstag sehr gut besucht. Es drängten auf viel zu kleinem Platz viel zu viele Leute, die Halle war stickig, es war viel zu heiß, viel zu laut. Es war Gedränge wie in der Blocksbergszene in Faust – „schiebst du noch oder wirst geschoben?“ Und wenn das alles nicht genügt, um für Aggressionen zu sorgen, dann weiß ich auch nicht. Aber die Messe war kaum durchwoben von aggressiven Schwimmungen. Ich stand mit meiner Tochter eine halbe Stunde in einer Schlange, um für sie eine Unterschrift zu ergattern von ihrer Lieblingsserie – „die Schule der magischen Tiere“ – und selbstredend legte sie ihren Kopf müde an meine Hüfte, obwohl wir gerade vor fünfzehn Minuten angekommen waren. Natürlich war sie frustriert, ob der ganzen Wildheit, die nichts Spannendes für ein siebenjähriges Mädchen liefert. Aber die Frau vor uns in der Schlange tröstete sie freundlich, machte Späße mit mir, wir kamen an einer zweiten Schlange vorbei – die an einem gegenüberliegenden Stand zu dem Comiczeichner Ralph Ruthe führte. Und überall wurde gelacht und gescherzt, wurde brav gewartet und gestanden. Jemand drängelte sich bei uns frech vor und fragte, ob er vorgelassen werden dürfte. Ja, er fragte tatsächlich um Erlaubnis, sich vozudrängeln. Und niemand regte sich auf, niemand ärgerte sich, verwies ihn nach hinten und ich dachte tatsächlich nicht: „Ist der Mann dreist“ oder „Sind wir alle so dumm, dass wir ihn vorlassen“. Sondern wir dachten gar nichts Böses. Es war ein freundschaftliches Wir-Gefühl unter Fans der Literatur.

„Ganz viel los hier“, sagte jemand mit skandinavischem Akzent zu mir. Und dann fügte er hinzu: „Ich dachte nicht, dass Bücher noch so viel gelesen werden.“

Ja, er hatte Recht. Heißt es nicht immer, es werde zu wenig gelesen? Ein 16 jähriges Mädchen entschuldigte sich fast, dass sie in der Schlange für ein Kinderbuch stand: „Ist für meine kleine Schwester. Nicht für mich.“

„Schön, dass du das für sie machst.“, sagte jemand vom Verlag. Und verschenkte noch ein Lesezeichen dazu.

Es war grundsätzlich friedlich. Wild, aber irgendwie gemütlich. Die Cosplayer feierten ihre Kostüme, ließen sich fotografieren, erklärten älteren Damen, die so aussahen, als zitierten sie freiwillig in ihren Teerunden Lessing und Wieland, was das für Kostüme seien – ich bin ein blutrünstiger Horrorclown – und antworteten beinahe erhaben: „Ah, der im Kino? Der von Stephen King?“ – „Genau.“ – „Amerikanische Literatur auch. Also nicht nur Computerspiele und Zeichentrick.“ Sehr fachmännisch.

Und immer brav lächelten die Autoren von ihren Signierständen, wirkten gar nicht müde vom vielen Schreiben, sondern glücklich und stolz, ihr Buch zeigen und darüber reden zu dürfen.

Am Ende des Tages las ich in einem Tweet vom diesjährigen Deutschen Buchpreisgewinner Sasa Stanisic, dass er auf der Toilette angesprohen worden war mit: „Schöne Sprache“ und er habe mit „Danke, Sie auch“ geantwortet.

Das ist eine schöne Anekdote für das Tete-a-Tete, das man sich hier gönnt. Es gibt Autorensofas, Leselounges, Lesebühnen. Und die Autoren des Selfpublishing-Sektors erobern überragend viel Terrain. Naja, mir fehlt der Vergleich zu vorherigen Jahren. Ich kann nichts darüber sagen, ob und wie viel gewachsen oder geschrumpft ist. Aber ich kann etwas anderes sehen: den Vergleich von hier und dort.

Während die großen Verlage ganze edel glänzenden Buchgeschäfte aufgebaut haben, die fast theatralische Qualität haben, wirkt der Fantasy und der SP Sektor beinahe wie ein Jahrmarktsbudenzauber. Als habe man hier mit Geld gekleckert, dort mit Motivation und Engagement geklotzt. Der SP-Sektor erfährt Prestige, wo große Firmen um neue SP-Autoren buhlen, wo die SPler sich selbst präsentieren, etwa in Form kleiner Verlagsstände à la „Wollen Sie mein Buch lesen über eine Frau, deren Geschichte ich selbst geschrieben, lektoriert und publiziert habe“ wirken etwas verloren und deplaziert.

Die SP-Szene selbst wirkt wie eine eingeschworene Gemeinschaft, wie ich sie von Mittelaltermärkten, Rollenspielconventions oder ähnlichem kenne. Man kennt sich, man grüßt sich, man liebt sich, man redet, man scherzt, wirbt miteinander und lebt rein auf der moralisch integeren Seite dessen, was nicht vom Geld, sondern von den Geschichten und der Liebe zur Fantasie lebt. Es ist eine beneidenswerte Communitiy aber eben nicht mehr: sie steht der „Professionalität“, die sich mit dem großen Geld misst beinahe diametral gegenüber.

Nicht falsch verstehen: beide Seiten haben ihre Sympathien. Der Literaturmarkt ist eben so eine Chimäre geworden.

Ganz anders die Hallen, in denen es International wird. Hier geht es um Präsentation, um Imagepflege, es geht um das Werben um Kulturen und um Kulturenaustausch. Hier geht es ums Kennenlernen und um den Austausch. Das merkt man spätestens daran, dass es hier selbst zu den Rushhour-Zeiten noch genug Platz zum Atmen ist.

Hier kommt man nur dann mit den Präsentanten nicht ins Gespräch, weil eine unüberbrückbare Sprachbarriere vorliegt (nur an einem Stand erlebt), oder alle Anwesenden gerade in Gespräche verwickelt sind.

Am Ende ist die Frage, die ich auch meinem Freund stellte: Was ist der Sinn der Messe? Für mich war es der Sinn, mit meiner Tochter einen ereignisreichen an Literatur orientierten Tag zu haben. Da hätte, könnte man jetzt sagen, die Cosplayer genügt. Die haben für staunende Augen gesorgt. Denn die standen ja immerhin für Menschen, die ihre Literatur lebten und das ist fast mehr als sie nur zu lieben.

„Wer ist das?“, war die am häufigsten gestellte Frage meiner Tochter.

Am längsten aufgehalten hatten wir uns am Stand der Tonie-Boxen. Am liebsten hätten wir etwas gekauft, aber es war nichts zum Verkauf da. Man wollte nur Präsentieren und beraten, mit den Kunden in Kontakt treten und sie immer wieder fragen: „Was kann Tonie als nächtes für Euch tun?“ Ich kam in Fachgespräche, die zeigten, dass sich auf der Messe tatsächlich Informationen einholen ließen, die tiefer gingen als pures Marketing. Der Buchmarkt ist eben nicht einfach nur eine Chimäre, die sich hier präsentiert und daran zu Grunde geht. Es ist eine Chimäre, die viel will aber auch viel kann. Sie verbindet die Gegensätze und das war hier greifbar und erlebbar.

Das nächste Mal will ich wieder her. Vielleicht sogar von jetzt ab jedes Jahr. Aber ich will es ganz anders planen. Ich will keine Liste dabei haben, von den Events, zu denen man nur kommt, wenn man kein Kind dabei hat, das kurz vorm Ende der Schlange auf die Toilette muss, oder man eine gefühlte Ewigkeit anstehen muss. Ich bin aber auch von Natur aus kein Autogrammjäger. Eine Unterschrift in einem Buch ist für mich eine ganz merkwürdige und suspekte Angelegenheit.

Das nächste Mal werde ich mich einfach von der Messe tragen lassen. Ich werde mich reinstürzen und überall stehen bleiben, wo es mein Interesse spontan hinzieht. Wenn es die Harry-Potter Treppe ist, dann wird es die sein und wenn es der Miso-Suppenstand im Asiensektor ist, dann eben dort. Ich werde vielleicht gezielter den SP-Sektor und die dortige Community aufsuchen. Vielleicht ein paar Leute, die man kennt, suchen oder solche, die man kennen lernen will.

Noch war ich das Stück Treibholz, das sich von der Flut hin und her trieben ließ.

Das nächste Mal werde ich mich von den Strömungen führen lassen.

Vielleicht sogar mit zwei Kindern.

Dann wird’s lustig.

Meinen Freund konnte ich weniger überzeugen:

„Messen sind nur Marktwirtschaft. Und wenn es dort politisch oder ideologisch wird, dann meist auch nur des Marktwertes wegen. Das ist mir zu wenig.“

Ich bleibe dem mal noch offen gegenüber eingestellt. Ich bin aber auch leicht zu begeistern und nur schwer dabei von Ereignissen verschlossen zu werden.

 

Was sagt ihr dazu?