Friday for Future
Das Interview, das Anton Hofreiter am 15.3.19 mit dem DLF führte, war höchst spannend. Es war ein Musterstück misslungener Kommunikation; ein rhetorisches Prachtstück wie bei Samuel Beckett.
Der Journalist stellte Fragen, Hofreiter verweigerte die Antwort. Seine Begründungen waren zunächst nicht konkret, weshalb er sich denn hier so verweigerte. Erst als ihm vorgeworfen wurde, er weiche aus, also ihm implizit vorgeworfen wurde, er verhalte sich wie doch viel zu politisch-weltfremd und völlig unkonkret, wurde sein Argument deutlich:
Er wolle nicht darüber reden, ob Schule schwänzen für das Demonstrieren um den Klimaschutz moralisch integer sei. Das entwürdige die Kinder, (infantilisiere ihr Argumentation), die ein Anliegen hätten. Er werde nur über dieses Anliegen der Schüler reden.
Leider zeigte Hofreiter viel größeren analytischen Sachverstand auf dieser Metaebene der Debatte als selbst praktisch, rhetorisch gut kontern zu können. So verpasste er es, auf den sophistischen Einwand des Moderators angemessen einzugehen:
Wenn Sie es befürworten, Herr Hofreiter, dass Kinder für den Klimaschutz die Schulpflicht verletzen, gilt das dann grundsätzlich? Müssen wir Kinder auch Ernst nehmen, wenn sie zum Beispiel gegen Ausländer demonstrierend der Schule fern blieben?
Hofreiter lachte den Moderator zynisch-lakonisch aus. In diesem Lachen verbarg er das unausgesprochene Argument:
In der Schule lehren wir den Kindern demokratische Werte. Wir lehren sie, dass in der Demokratie jede Stimme zählt, dass das die Herrschaft des Volkes sei und man für seine Werte einstehen müsse.
Wir lehren sie aber auch Werte!
Wir vermitteln ihnen von Haus aus Werte, die die Schüler völlig richtig durch die Politik und der Gesellschaft nicht gelebt sehen.
Eigentlich lautet ihr Argument doch:
In der Schule bringt ihr uns bei, wie wichtig Umweltschutz ist. In der Realität vernichtet ihr unsere Natur.
In der Schule bringt ihr uns bei, dass unser Leben noch vor uns liegt. In der Realität vernichtet ihr unsere Zukunft.
In der Schule bringt ihr uns bei, dass das Gute Leben an Werte geknüpft ist, deren Grundlagen ihr uns jetzt bereits vernichtet, sodass jeder, der Augen hat, sehen kann, dass ein Gutes Leben für uns nicht mehr gelebt werden kann.
Es ist doch so: Für die Kinder gibt es nur zwei Optionen:
Entweder sie akzeptieren, was sie in der Schule lernen, sie akzeptieren den Selbstwert der Natur und den Wert der Natur für das eigene Leben. Aber dann müssen sie ablehnen, was ihnen Politiker und Gesellschaft mit ihren SUVs, mit Plastiktüten, PlastikWattestäbchen, Strohhalmen, Kreuzfahrtschiffen, Dieselbelastungen, Feinstaubemmissionen, Atomkraftwerken, Braunkohleabbau, und so vieles mehr, an Lebenswelt aufbauen.
Oder Option Zwei: Sie können genauso in der Schule sitzen bleiben und die Lebenswelt der Erwachsenen akzeptieren, eines Materialisten, eines Menschen, der unter einer professionellen Einschätzung der Lage das Wort „Ökonomie“ vor „Ökologie“ in einer Aufzählung stellt. Sie können sich auf den Genuss eines Lebens vorbereiten, in dem es Meere voller Plastik, Länder voller Müllberge, Mülldeponien mit Ländergrenzen, Innenstädte voller Menschen mit Atemmasken, Krankenhäuser mit zu wenig Zimmern gibt. Dafür aber Luxusfernseher, die mit Luxusstrom laufen, Luxusautos mit Luxuskraftstoff, Luxusleben auf einer Waagschale, deren Gegengewicht Armutsleben darstellt.
Dann müssen die Schüler aber ablehnen, was ihnen die Lehrer beibringen, wenn ihnen im Erdkundeunterricht der Zusammenhang der Klimaerwärmung mit Wirbelstürmen erläutert wird, oder grundsätzlicher sogar: der Unterschied zwischen Klima und Wetter; wenn ihnen im Biologieunterricht der Mensch als Naturwesen dargestellt wird und Massentierhaltung in Frage gestellt wird, über ausgestorbene Tiere ihnen auf den Fernsehern alte Filme gezeigt werden; wenn im Religionsunterricht über den Satz diskutiert wird: „Macht euch die Welt untertan!“; im Ethikunterricht die Verantwortung der Wissenschaft beleuchtet und das Gute Leben definiert wird.
Schüler müssten es ablehnen, mit Naturlyrik im Deutschunterricht konfrontiert zu werden, wo es für ihr Zukunft doch notwendiger ist, den Genuss einer naturreduzierten Welt zu trainieren.
Wenn auch nur eine Demonstration sich Freitags im Namen der Wirtschaftsliberalen auf die Straße bequemen würde, um gegen Friday 4 Future zu demonstrieren, dann und nur dann dürfen wir gerne darüber diskutieren, was wichtiger ist: die Schulpflicht oder die Inanspruchnahme der Rechte als demokratischer Bürger der Zukunft.
Ist es nicht spannend, dass wir von einem Luxus reden, den die Kinder in so breiter Front abzulehnen scheinen?
So hätte Hofreiter argumentieren können, um zu erläutern, was er mit seinem Lachen eigentlich gemeint hat. Es wäre spannend gewesen, wie der Moderator darauf reagiert hätte.