Hotel Delphin (3)

Anfang verpasst? Hier geht es zu Teil 1
Hier geht es zu Teil 2

Und hier geht es endlich zu Teil 3:

 

Ganz leise und ohne das Wasser groß in Bewegung zu versetzen, glitt Nour ins Becken. Sie tauchte unter den kleinen Kräuseln der Wasseroberfläche hindurch, und ihr Körper sah auf einmal ganz zerbrechlich aus. Ein schlanker Alienkörper, nicht geeignet für ein Leben auf dieser Erde, der durch das Unterwasseruniversum glitt.

Erst als sie auftauchte, verwandelte sie sich zurück in die, die er liebte.

Tobi stieg über die Leiter in das Schwimmbecken. Sie kam zu ihm geschwommen und legte ihre Arme um seine Schultern. Sie versanken in einem nach Chlor schmeckenden Kuss.

„Es ist verrückt, was du da für uns auf die Beine gestellt hast.“

„Und es wird immer besser.“, versprach er. „Soll ich dir noch ein Geheimnis verraten?“

„Was?“

„Ich hab den Schlüssel gar nicht geklaut.“

„Ach nein?“

„Irgendwie gehört mir das Ganze hier.“

„Spinner.“ Aber ihr Blick verriet ihre Irritation. Es fiel ihr nicht immer leicht, zu verstehen, was in ihm vorging. Es war, als wäre man mit einem Spiel zusammen. Ein ewig unlösbares aber sich immer drehendes und sich veränderndes Rätselspiel.

Ein Labyrinth, dachte sie. Seine Augen sind wie ein Labyrinth. Man versucht seinen Weg zu finden, sucht in seinen Worten und seinen Taten nach Hinweisen. Aber man landet immer wieder in Sackgassen. Immer wieder hier. In seinen Armen, die einen gleichzeitig festhalten und wegstoßen.

„Das ist doch egal.“, es war eine neue Strategie. Sie hatte keine Lust auf Rätsel. Also wollte sie es diesmal sein, die ihn wegstieß, ihn in eine Sackgasse laufen ließ. „Hauptsache wir sind jetzt hier. Hauptsache: …“ und dann küsste sie ihn und versuchte ihn auf das Wesentliche auszurichten. Auf ihre Lippen, ihre Zunge. Auf ihren Geschmack, ihren Atem. Sie richtete sich auf, über ihn, versuchte ihn zu umschlingen mit ihrem ganzen Körper, ihn komplett zu umgreifen. Ihre nassen Haare lösten sich zufällig von selbst auf und flossen wie ein schwarzer Wasserfall um seinen Kopf. Es wurde dunkel. Es wurde eine Welt die nur aus ihm und ihr bestand. Genau wie sie es wollte.

„Ich liebe dich“, hauchte sie.

„Es ist alles ganz anders, als ihr denkt.“, hörte sie ihn aus der tiefsten Dunkelheit heraus flüstern. Sein Atem war erregt. Er ließ sich immerhin von ihr umspülen. Ließ es zu, dass beide Körper zu einer einzigen Leidenschaft wurden. Ihr Bikini öffnete sich von selbst. Ihr warmer Körper an seiner kalten Brust.

Er wollte wieder etwas sagen.

Aber nein, das wollte sie nicht zulassen. Und deshalb ertränkte sie jedes weitere Wort. Gegen Reden half Küssen.

 

 

„Ihr seid verrückt, wenn ihr den Fahrstuhl nehmen wollt.“, sagte Lana. Tarek und Benji sahen mit an, wie sich die Fahrstuhltür öffnete und dann das Licht einmal bedenklich aufflackerte. Während Lana die rotsamtene Treppen aufstieg, dachte sie laut darüber nach, dass ein Fahrstuhl in einem leer stehenden Hotel der letzte Ort auf Erden sei, wo sie sterben wollte.

„Tobi ist in letzter Zeit ziemlich oft rauf und runter gefahren.“, murmelte Tarek. „Stellt euch mal vor, der Strom wäre einfach ausgefallen. Oder Die Kabel gerissen. Oder sonst was. Den hätte doch nie jemand gefunden. Wer sucht in einem Fahrstuhlschacht in einem stillgelegten Hotel am Stadtrand nach einem Vermissten?“

„Und Empfang hat er da drin auch nicht.“, murmelte Benji.

„Empfang ist nirgendwo hier drin.“ Wie um es zu bestätigen, starrte Tarke die restliche Zeit im Treppenhaus nur auf das Handydisplay. Und auch zurück in der Lobby ließ er nicht davon ab.

Während Benji und Lana hinter der Theke einen Raumplan für das komplette Hotel fanden und die dazugehörigen Zimmerschlüssel suchten, versuchte Tarek immer wieder, endlich Mira zu erreichen.

Tobi hatte offenbar schon einen fertigen Plan gemacht. In einem Hinterzimmer lagen auf einem Schreibtisch bereits ein Plan mit Markierungen und dazugehörigen Zimmerschlüsseln.

„Offensichtlich ist für uns ein Zimmer im ersten Stock gedacht.“, Benji gab Lana den Schlüssel.

„Und Tobi und Nour haben ihre Luxussuite im obersten Stock.“

„Jede Etage hat ein besonderes Zimmer. Und das sind“, er tippte auf die entsprechenden Schlüssel: „112, 212 und die Luxussuite.“

„Ich würd sie mir gern mal anschauen. Lust auf einen Rundgang?“

„Schade, dass kein Generalschlüssel da ist.“

„Rate mal, wer den hat.“, Lana verdrehte die Augen und nahm aus einem Schlüsselregal wenigstens von jedem Stockwerk einen anderen Schlüssel mit.

Tarek wirkte abwesend, als sie ihm seinen Zimmerschlüssel gaben.

„Immer noch nichts von Mira?“, fragte Lana. Und Benji fügte besorgt hinzu, dass das völlig untypisch für sie wäre.

Aber Tarek sagte: „Nimm mal dein Handy“ zu Lana.

Dann rief er Lana an und bedeutete ihr, ein paar Schritte Abstand zu nehmen.

„Da kommt kaum was an“, sagte Lana. „Nur ein paar Silben. Ich kann aber kaum erkennen, was du sagst. Selbst mit viel Fantasie nicht.“

„So ist hier jeder Anruf. Ich komm nicht raus.“

„Handy schon aus- und wieder eingeschaltet?“

Er nickte. „Ich hab es bei ihr zu Hause versucht. Da ging jemand ran. Aber es war nicht möglich, etwas zu sagen oder zu verstehen. Ein mieses Hotel.“

„Versuch’s weiter.“, riet Lana. Aber wem sagte sie das?

Benji konnte sich nicht erinnern, Tarek je ohne Handy oder Konsole gesehen zu haben. Wenn er schon nicht auf den Bildschirm starrte, dann hielt er es doch jederzeit bereit in der Hand. Um ehrlich zu sein, hielt Benji ihn für süchtig. Wer mehr Zeit mit dem Handy verbrachte als mit dem echten Leben, der setzte seine Prioritäten falsch. Vielleicht war es auch einfach kein Wunder, dass Mira ihn hier hatte sitzen lassen.

Nein, ein Wunder war es schon. Denn er hatte Mira immer anders eingeschätzt. Sie war zielstrebig, fast noch planungsfixierter als Lana. Sie hatte ihnen fest zugesagt, an diesem Wochenende hier zu sein, hatte sogar darauf bestanden, dass Tarek erst hier alles gesagt wird. Sie hatte gemeint, dass es bei ihr anders wäre als bei den andern. Bei ihr ging es nämlich nicht darum, eine Beziehung irgendwie durch Action aufzupeppen, sondern darum, dass überhaupt endlich die Beziehung wie eine Beziehung funktioniere.

Wenn er Mira so häufig angesehen hätte, wie seine Displays, hätte es wahrscheinlich keine Probleme gegeben, dachte Benji.

Andererseits hatte Tarek die ganze Zeit nur wegen Mira aufs Display geschaut.

Lanas Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Aber das nervöse Lachen entwarnte ihn auch fast augenblicklich wieder.

Sie waren über das Treppenhaus inzwischen ein Stockwerk höher gegangen und als sie oben um die Ecke bogen, stand tatsächlich ein Page vor ihnen. Besser gesagt: der Page stand vor den Lifttüren und dadurch war die Illusion, einen echten Menschen vor sich zu haben, schnell verflogen.

„Ein Pappaufsteller, ich werd’s nicht mehr.“, Tarek lachte bitter.

„Das ist Tobis Humor. Er hat wohl erwartet, dass wir den Fahrstuhl nehmen.“, Lana schob den Aufsteller zur Seite. Ein grinsender junger Mann, der die Mütze lüpfte und einem mit der freien Hand den Weg in den Flur zeigte. Am Sockel stand: „Willkommen im Hotel Delfin – wo Erholung groß geschrieben wird!“

„Wir hätten uns bestimmt irre erschreckt, wenn die Fahrstuhltüren aufgegangen wären.“

„Tobi ist so ein Arsch.“, meinte Lana.

„Er hat eine schräge Art.“, stimmte Tarek zu. Dann fügte er hinzu: „Gar kein Empfang. Vielleicht am Ende vom Flur. Ich bin gleich wieder da.“

„Wir schauen uns mal die Zimmer inzwischen an.“

„Die sehen alle bestimmt gleich aus. Wie Hotelzimmer eben.“ Und damit verschwand er ans andere Ende des Flurs.

So Unrecht hatte er nicht.

„Ich glaube“, sagte Lana, „dass einfach alle Hotels diesen roten Teppichboden haben müssen.“

Das Bett war schlicht, die Einrichtung viel spärlicher als die Lobby es hätte vermuten lassen. Lediglich der Spiegel, der wie ein goldener Farbklecks aus einem Kinderbuch aussah, verlieh dem Zimmer etwas Besonderes. Jedes einfache Zimmer hatte einen angrenzenden Duschraum und eine separate Toilette. Handtücher hingen an einem Halter bereit.

„Wenn unser Zimmer genauso langweilig ist, bin ich enttäuscht.“, sagte Benji dazu nur. Lana antwortete: „Wir können ja in der Lobby schlafen.“ Und nach einer kurzen, Pause mit verdächtig leiser Stimme: „Oder überhaupt nicht.“

Beim Schließen der Tür gab es ein hässliches, kratzendes Geräusch. Benji dachte, dass wohl ein Steinchen unter dem Türspalt festgesperrt war. Lana hörte es nicht, sie wäre dann irritiert gewesen. Denn die Tür glitt in ihrer Hand butterweich über den Boden. Sie hätte wahrscheinlich gezögert, genauer hingehört und vielleicht sogar daran gedacht, dass es der Vibrationsalarm eines Handys hätte sein können, der aus dem Zimmer zu hören war, das sie gerade verließen.

 

Tarek gab vorerst auf. Er steckte sein Handy jetzt sogar in die Hosentasche, was er sonst nie tat.

„Hier ist euer Zimmer“, sagte er unnötigerweise. Die Zimmer waren ja immerhin durchnummeriert. Das Zimmer sah offenbar deutlich luxuriöser aus als es sich Benji und Lana vorgestellt hatten. In seinen Augen war das alles hier sehr schlicht gehalten und in überaus abschreckender Farbwahl gehalten.

„Und die Farbe des Sommers, Ladys and Gentlemen, wird offensichtlich Braun sein. Braun in allen Variationen. Es gibt Ockerbraun und Kackbraun, Rehbraun, Schlammbraun“, er blieb vor einem opulenten Bilderrahmen stehen, über dessen Rahmen mit dünnen Goldlinien feine Ziselierungen aufgetragen waren. „Und Brauntöne, die so alt sind, dass sie mit den 60ern gemeinsam ausgestorben sind.“

„Sei nicht so negativ“, Lana stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. „Es hätte schlimmer sein können.“

„Es riecht etwas staubig.“ Benji stellte auch sofort fest, woran es lag: “Hier sind die Heizungen eingeschaltet. Tobi hat an alles gedacht.“

„Verrückt, dass hier alles noch funktioniert.“ Nur zum Spaß betätigte Tarek die Lichtschalter. Aber das Licht ging nicht an. Statt dessen blitzte eine große schwarze Scheibe an der Wand über dem Kopfende des Bettes rot auf. Unterbewusst hatten sie es alle drei wohl für einen Fernseher gehalten und nicht darüber nachgedacht, dass sowohl die Zeit und die Form als auch die Position für einen Fernseher höchst ungewöhnlich gewesen wären. Jetzt staunten sie nicht schlecht, dass die Scheibe nichts anderes war als eine in die Wand eingelassene, rechteckige Lavalampe, die sich nun ganz langsam erhitzte und in Bewegung brachte.

„Das ist so was von Porno!“, staunte Tarek.

Lana brach in ein lautes Lachen aus.

 

Als sich Nours Körper um seinen legte, spürte er ihre komplette Leidenschaft. Und das fackelte ihn an. Er spürte, wie die Erregung in ihm bis zum Bersten anstieg. Und dann grub sie ihre Finger in seine Haare und sie war über ihm, sie umschlang ihn so ganz und gar, dass sich die Leidenschaft von einem Schlag zum nächsten verwandelte. Auf einmal war nur noch blanker Zorn in ihm. Zorn darüber, dass sie die Oberhand zu erlangen versuchte. Dass sie ihn umschlang und ihn führte. Auf einmal spürte Tobi nur noch wie der Zorn sich zuckend bis in seine Hände ausbreitete. Er spürte wie er Nour von sich stieß und als das nichts brachte, ließ er sich durch das Wasser nach unten fallen. Er hielt sie fest. Gemeinsam schloss die Wasserdecke sich über ihren Köpfen. Er sah, wie ihre Augen ihn verwundert ansahen. Er hätte ewig tauchen können, ewig sie festhaltend, ewig in die Tiefe sinkend. Aber irgendwie glitt sie ihm aus den Händen. Sie verschaffte sich Abstand und stieß sich nach oben ab. Tobi dagegen schwamm unter ihren Beinen hinweg und tauchte in ihrem Rücken auf. Er presste sie gegen den Beckenrand und erst das gequälte Geräusch, wie sich die Luft aus ihren Lungen presste und sich mit dem Spucken von Wasser vermischte, beendete auf einen Schlag seine Wut. Zurück kam die Lust.

Sie wehrte sich, stieß ihn von sich. Er konnte spüren, dass sehr viel Selbsterhaltungstrieb eine Rolle spielte. Es waren Kräfte und Bewegungen, die ihren Körper spannten, die sich zu ungewohnt anfühlten. Sie spannte ihren Rücken, drückte ihn mit den Ellbogen zurück. Mit einer außergewöhnlichen Stärke bäumte sie sich gegen ihn auf.

Und für einen kurzen Augenblick dachte Tobi tatsächlich darüber nach, wie es wohl wäre, wenn er jetzt seiner Lust nachgehen würde.

Seine rechte Hand legte sich beruhigend auf ihre Schulter, glitt darüber hinaus, legte sich an ihren Hals. Sie stöhnte, hörte aber nicht auf, Wasser zu spucken.

Dann war der Augenblick auch schon vorbei.

Tobis Blick hatte sich durch Zufall an einer anderen Sache verfangen. Er ließ Nour los, kletterte an ihr vorbei und stieg aus dem Becken.

„Warte“, sagte er und vergaß auch schon, nachzusehen, ob es ihr gut ging. Er ging zu einer steinernen Sitzreihe hinüber, ging in die Knie und zog etwas darunter hervor.

Ihm wurde schlecht, als er das Ding in seiner Hand erkannte.

Aber gerade als er damit aufstehen wollte, stand Nour über ihm und schlug zu.

Es war das erste Mal, dass sie ihm gegenüber handgreiflich wurde. Sie hatte schon viel von ihm ertragen, aber offenbar hatte er jetzt eine rote Linie überschritten, die ihm selbst – gerade jetzt – nicht klar war. Was er eben noch in der Hand gehalten hatte, rutschte über den Boden zurück unter die Bank.

Während er auf dem Rücken lag und sie sich hasserfüllt über ihn beugte, brüllte sie „Du Schwein! Du verdammtes, elendes Drecksschwein.“

 

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