Im Stockwerk über mir wohnt Gott – sechster Teil: Mission Impossible

Dies ist Teil 6 einer Reihe Kurzgeschichten, die ich abwechslungsweise mit meiner fellow Bloggerin Haerzenswort schreibe. Viel Spass!

Im Stockwerk über mir wohnt Gott. Er heißt Woziak. Eigentlich sieht er gar nicht wie Gott aus, sondern wie eine abgemagerte Version von Karl Marx. Die meiste Zeit trägt er grobe Rippunterhemden und dunkelblaue Jogginghosen. Er hat eine brummige Stimme und riecht wie ein Schnapsladen.

Wir treffen uns eigentlich immer nur im Treppenhaus. Meistens in der Kehrwoche. Ich habe schon versucht, ihm auszuweichen. Das würde ich als eine natürliche Reaktion bezeichnen. Aber wenn einer es drauf anlegt, dir über den Weg zu laufen, dann schafft der das auch.

Denkste.

Woziak kommt einfach nicht raus.

Ich liege auf der Lauer. So muss der sich normalerweise fühlen. Aber heute, heute ist meine Stunde.

„Was tust du hier?“, fragt meine Frau.

„Geh weiter.“, zische ich.

„Du siehst albern aus, wie du dich da hinter die Ecke drückst. Und außerdem stehst du im Weg.“

„Warum? Geh doch weiter.“

„Ich muss zu den Briefkästen.“

Ich mache Platz.

Ich stehe jetzt schon seit einer Stunde hier unten und warte darauf, dass dieser Kerl endlich die Wohnung verlässt. Aber das sage ich meiner Frau natürlich nicht. Die würde mich glatt für einen Spinner halten.

Mir fällt ein, dass das berühmte Liebeslied von Sting „Every breath you take“ eigentlich gar kein Liebeslied ist, sondern von einem Stalker handelt, der einer Frau hinterhersteigt. Auf unzähligen Hochzeiten ist dieses perverse Lied schon gespielt worden. Genauso wie „You’re Beautiful“ von James Blunt. Da geht es um einen Typen auf Drogen, der seine Ex in der Straßenbahn mit einem fremden Typen an der Seite wiedersieht und dann ziemlich am Rumjammern ist.

Das würd ich auch nicht auf Hochzeiten gespielt haben wollen.

Wir hatten auf unserer Hochzeit den klassischen Hochzeitswalzer. Mit der klassischen Slip-Einlage vom Schwiegervater auf dem rutschigen Parkett.

„Mission Impossible?“, fragt mich meine Frau auf einmal.

„Was?“

„Was du da summst.“

Verdammt.

Ich bin jemand, der ständig ein Lied mit sich rumträgt. Mein Unterbewusstsein hat sich natürlich Lalo Schifrins berühmte Melodie ausgesucht, während ich hier unten stehe und immer wieder um die Ecke linse.

„Du bist richtig besessen von diesem Woziak, kann das sein?“, die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen. Ich frage mich, warum sie mich nicht in Ruhe lauern lässt.

„Er lauert mir ja immer auf.“, sage ich. „Und jetzt hab ich die Idee gehabt, wie ich es ihm heimzahlen kann.“

„Was heimzahlen?“

„Seine Klugscheißerei.“, sage ich. „Er meint es immer besser und will mich immer belehren. Neulich, als ich mein Fahrrad repariert hab, zum Beispiel. Da ist er mir mit da Vinci gekommen.“

„Was hat da Vinci denn mit deinem Fahrrad zu tun?“

„Er wollte mir weiß machen, dass da Vinci das Fahrrad erfunden hatte und dass da Vinci das eigentlich nur gemacht hat, um den Papst zu ärgern. Jeder, der heutzutage Fahrrad fährt, würde sich also eigentlich über die ganze katholische Kirche lustig machen.“

Sie kichert. „Das ist ja witzig.“

„Dämlich ist das. Er wollte von mir wissen, warum ich so versessen darauf wär, die Kirche lächerlich zu machen.“

„Was hast du geantwortet?“

„Du kannst Woziak nichts antworten!“, ereifere ich mich. „Das ist es ja gerade!“, ich verstehe nicht, warum sie das nicht versteht. Vielleicht sollte sie mal mit Woziak ein kleines tête à tête im Hausflur halten. Nur mal eben so. Bislang hatte ich sie zu sehr geliebt, um es ihr zu wünschen. Aber nur um einmal Verständnis von ihr zu erhaschen, würde ich ihr eine Stunde Woziak schon mal gönnen.

„Ich hab ihn zurückgefragt, ob er wisse, dass jede Sekunde, die ich mit ihm spreche, er sich ja eigentlich über mich lustig macht.“

„Und?“

„Er sagte, jemand wie ich bräuchte jemanden wie ihn nicht, um lustig zu werden.“

Sie kichert.

„War ja klar, du bist auf seiner Seite.“, und ich werfe wieder einen Blick um die Ecke auf seine Tür. Auf der Fußmatte steht nicht „Herzlich Willkommen“, sondern eine Armada an leeren Alkoholflaschen. Es sieht nicht so aus, als ob er überhaupt jemals aus dieser Tür rauskommt.

Da fällt mir ein, dass ich ihn grundsätzlich noch nie die Wohnung verlassen gesehen habe. Normalerweise steht er plötzlich einfach vor einem.

„Und wenn du ihn jetzt triffst, was dann? Willst du ihn erschrecken?“

„Ich will den Spieß umdrehen!“, triumphiere ich.

„Aha.“, macht sie.

„Ich will ihm etwas total Selbstverständliches an den Kopf werfen, wo er gar nichts dagegen sagen kann. Eine Meinung, die jeder hat, verstehst du?“

„Und das wäre?“

„Ich will ihm sagen: Nichts macht das Leben komplizierter, als den Versuch, es zu vereinfachen!“

„Das ist von Woody Allan geklaut.“, sagt sie.

„Egal.“, sag ich.

„Und da kann man auch drüber streiten.“

„Kann man nicht.“

„Wir machen uns doch alle das Leben Mega einfach. Wir bauen uns unsere Nester und setzen uns hinein und fühlen uns wohl. Wir ignorieren die Welt um uns herum und führen ein glückliches und zufriedenes Leben. Sieh dir mal deine Eltern zum Beispiel an.“

„Was haben meine Eltern damit zu tun?“, knurr ich zurück und bin neidisch. Meine Eltern sind ein fantastisches Beispiel dafür, dass man unfassbar glücklich und zufrieden leben kann, wenn man sich alles leicht macht und über die Probleme der Welt nicht nachdenkt. Aber ich schiebe hinterher:

„Lieber ein unglücklicher Sokrates, als ein glückliches Schwein!“

„Das ist auch geklaut.“, behauptet sie. „Von John Stuart Mill.“

„Auch das ist egal!“, ich bin zu laut geworden. Bestimmt hat Woziak mich gehört. Ich werfe einen Blick um die Ecke. Immer noch nix. Mist, bestimmt ist er verscheucht. Der kommt heute nicht mehr raus.

„Und es stimmt auch nicht. Die Dummen sind die, die am zufriedensten leben. Und wenn ich zu dumm bin, um meine Probleme zu sehen, dann kann ich doch auch glücklich sterben. Schau mal, zum Beispiel deine Eltern, … wenn ich deine Mutter wäre, würde es mir gar nicht gut gehen. Ich würde mich über den Schimmel im Keller ärgern und denken, dass das was mit meinem chronischen Asthma zu tun haben könnte. Aber deine Mutter sagt, das wäre kein Schimmel, das sei schon immer da gewesen.“

„Was hast du heute eigentlich gegen meine Eltern?“

„Nichts, ich meine ja nur. Es gibt bessere Sätze als deine.“

„Und wenn du schon meine Eltern nimmst: Die haben sich nie um etwas anderes gekümmert als um das eigene Nest und jetzt sieh dir mal an, was das für eine Welt ist, die unsere Elterngeneration uns hinterlassen hat.“

„Tjaja“, sagt sie. „Das gemachte Nest riecht halt immer nach den bereits gelegten Eiern.“

„Was soll das denn jetzt heißen?“

„Och.“, sagt sie geheimnisvoll und schickt sich an, hoch zu gehen, die Briefe sauber in der Einkaufstasche verstaut.

„Sagst du Woziak einen schönen Gruß von mir?“, fragt sie mit einem kessen Blick über die Schulter.

„Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt noch Lust auf den Alten habe.“

„Das wär prima.“, bekennt sie. „Wir müssen die Bude nämlich noch saugen. Meine Eltern kommen heut Abend zu Besuch.“

Nur um meinen Stolz ein wenig zu wahren, warte ich noch ein paar Minuten, bis ich ihr hinterher gehe.

Es fühlt sich so an, als ob man gegen Woziak selbst dann verliert, wenn er gar nicht dabei ist. Ob ich an seine Tür klopfen sollte?

Im Vorbeigehen zögere ich einen kleinen Moment, dann sehe ich, dass auf der Fußmatte tatsächlich was steht. Natürlich nicht „herzlich Willkommen“, sondern: „Spießer“.

„Das passt ja so gar nicht zu dir, alter Mann!“, murmele ich die Tür an.

Mir ist, als würde ich genau wissen, was mir Woziak darauf antworten würde: „Aber zu dir!“

Der Typ ist total irre.

Wenigstens kurz hätte er sich doch blicken lassen können, mein Gott!

Ein Teil verpasst? Kein Problem. Mehr Woziak gibt es hier:
Erster Teil: Warum Frauen immer kalte Füße haben 
Zweiter Teil: Warum der Regen heutzutage trocken ist
Dritter Teil : Spartaner und Barbaren
Vierter Teil: Bonobos rechtfertigen sich auch nicht
Fünfter Teil: Für mehr fußgängerfreie Zonen

6 thoughts on “Im Stockwerk über mir wohnt Gott – sechster Teil: Mission Impossible

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