3 – SAMR in Corona Zeit

Zur Erinnerung an den letzten Artikel:

 

Es gibt da eine Theorie von Ruben Puentedura aus dem Jahr 2006, nach der sich das digitale Unterrichten in vier Schritten weiterentwickelt. Diese vier Schritte stellen auch gleichzeitig einen qualitativen Zuwachs dar.

 

Der erste Schritt lautet „Substitution“ (Ersetzung): Technik ist ein direkter Ersatz für Arbeitsmittel ohne funktionale Änderung.

Im zweiten Schritt „Augmentation“ (Erweiterung) stellt die Technik einen direkten Ersatz für Arbeitsmittel dar mit einer funktionalen Verbesserung.

Im dritten Schritt „Modification“ (Änderung) ermöglicht Technik beachtliche Neugestaltung von Aufgaben.

Und im letzten, vierten Schritt „Redefinition“ (Neubelegung) ermöglicht die Technik das Erzeugen neuartiger Aufgaben, die zuvor unvorstellbar waren.

 

Über die ersten beiden Schritte habe ich im letzten Artikel geschrieben. In der Zwischenzeit habe ich darüber sinniert, was man über die letzten beiden Schritte schreiben könnte, denn um ehrlich zu sein, machen mich genau diese Schritte im Deutschunterricht (vorzugsweise literarische Analysen und Interpretationen) und im diskussionsbasierten Ethik- und Philosophieunterricht größtenteils ratlos.

 

Ich habe mich zunächst einmal umgehört, was Kolleginnen und Kollegen unter einem digitalen Unterricht dieser beiden Stufen verstehen. Und die häufigste Antwort war das Beispiel, man könne Szenen mit Stop-Motion-Filmen darstellen lassen, animierte Trickfilme gestalten, etc.

Überprüfen wir zunächst dieses Beispiel und wir werden sehen, dass dieses Beispiel uns maximal in Stufe 2 katapultiert.

 

Nehmen wir das berühmte Panther-Gedicht von Rainer Maria Rilke. Geben wir den Schülern die Aufgabe, dieses Gedicht in einen Film zu verwandeln. Meinetwegen sollen sie es nachstellen mit Playmobilfiguren, abfilmen und das Gedicht drübersprechen.

Die Interpretationsleistung, die für diese Aufgabe grundlegend ist, findet im Analogen statt. Nämlich dann, wenn die Figuren aufgestellt werden. Auch wenn der Film gedreht wird, ist die SuS-Arbeit zunächst analog. Das Endergebnis, das Arbeitsprodukt, dagegen ist digital: der Film. Und jetzt? Wenn jetzt dieses Ergebnis nur abgegeben wird, damit der Lehrer es bewerten kann, dann hat man die Technik lediglich verwendet, um es den LuL zu vereinfachen, Lernprodukte einzusammeln und zu korrigieren. Genausogut hätte er unter größerem Zeitaufwand die Filme theatermäßig vorspielen können. Es hätte ihn bei den üblichen Klassengrößen deutlich mehr Zeit gekostet. Aber sowohl im Lernprozess als auch im Interpretationsspektrum hat sich durch das Medium Film wenig Neues ergeben.

Kritiker werden mir jetzt dagegen halten, dass die SuS etwas über Perspektiven, Winkel, Schnitt – also in Bezug auf Filmanalysen – handfest etwas Neues gelernt haben. Und dem stimme ich zu. Das bedeutet aber nur, dass ich durch das aktive Anwenden des Mediums Film einen produktions- und handlungsorientierten Synergieeffekt erzielt habe. Meine ursprüngliche Absicht, mit Hilfe des Films einen neuen Zugang zu Rilke zu finden, ist dagegen gescheitert.

 

An dieser Stelle wird deutlich, dass Medienkompetenz oft selbstreferentielle Züge hat. Und das ist, um es einmal ganz deutlich zu sagen, vollkommen in Ordnung, teilweise sogar notwendig. Aber wir dürfen uns nicht vormachen, dass wir einen Film über Rilkes Panther gedreht haben, nur um Rilke besser zu verstehen.

 

Technik soll im dritten Schritt eine beachtliche (!) Neugestaltung der Aufgaben ermöglichen.

 

Wenn wir diesen Satz auf die denkbar einfachste Lesart verstehen, werden wir ihn banal empfinden, denn selbstverständlich ist Technik ein Werkzeug und jedes neue Werkzeug erlaubt uns eine andere Herangehensweise.

Der recht dürftige Wikipedia-Artikel über das SAMR Modell verrät uns, dass das Modell Lehrern vier Stufen zur Verfügung stellt, um zu erkennen, „inwieweit Schüler (Gender-Sic) aktiv mit digitalen Medien arbeiten, wie hoch der Grad der Eigenständigkeit und Kreativität ist, während sie etwa Apps, Geräte, Internetinhalte nutzen.“

 

So formuliert lässt sich zunächst rückschließen, dass der dritte Schritt nur in einem deutlich stärkeren schülerorientierten Unterricht machbar ist. Wenn die SuS in völliger Selbständigkeit auch die sukzessive Entscheidungsgewalt über die gewählten digitalen Medien haben können. Nun bedeutet Schritt drei nämlich, dass es den SuS einfällt, wesentlich die Aufgaben neu zu gestalten, sprich: aus der übergeordneten Aufgabe z.B. der Literaturanalyse einen eigenständigen Weg im digitalen Raum zu finden, damit umzugehen.

 

Die Crux dabei ist, dass der Blick in die Realität zeigt, dass die meisten Lehrer sich gerade in der dritten Stufe abmühen und die SuS maximal auf der ersten Stufe lassen. Wie ich das meine?

Hand aufs Herz: Wer gestaltet die Kreuzworträtsel, die Quizze, die digitalen Plattformen? Wer sucht die besten digitalen Medien aus und wer ist es, der ganz altmodisch digital arbeitet?

Die Antworten auf die ersten Fragen: der Lehrkörper erstellt Apps, Kreuzworträtsel, Padlets, Quizze, digitale Aufgaben.

Und die SuS? Lernen nur das Bedienen des Endprodukts. Gefühlt jetzt in Corona-Zeit mehr denn je. Denn wir haben vielleicht den Zug verpasst, uns analog hin zu setzen und das Digitale kennenzulernen (sprich: Videos zu drehen, Quizze mit den SuS gemeinsam zu erstellen, …).

 

Können wir jetzt in analoger Isolation den Sprung zu Schritt 3 und 4 noch erreichen?

 

Tragischerweise überlagert diese praktische Frage immer noch die grundlegende: Kann die Medienwelt überhaupt gewinnbringend genutzt werden, neuartig sich diskursiv auseinander zu setzen? Ist die digitale Welt wirklich ein Mehrwert, können wir uns so anders oder besser der Literatur zuwenden, der Philosophie? Erkennen wir heutzutage digital ganz andere Dinge in Faust oder in Rilkes Panther? Oder machen wir uns nur etwas vor und das Digitale ist nur ein Schritt 1 des SAMR-Modells, wenn es darum geht intellektuell einen Mehrwert zu erzeugen?

 

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