Anekdote der deutschen Lockdownrevolution

Angeregt durch drei gefühlt uralte Beiträge des Simplicissimus Als die Kneipen im Jahr 2021 geschlossen hielten, weil eine schlimme Krankheit umging, saßen die braven Männer statt an ihren Stammtischen an ihren Computern. Als einer von ihnen eines Morgens im Januar bemerkte, dass er seit Wochen aus Bequemlichkeit den grauen Bademantel nicht verlassen hatte, gefiel er sich in der Vorstellung, das Kneipenbier und das Kneipengerede in Zukunft nur noch in dieser Uniform zu sich nehmen. Es überraschte ihn nicht, dass zwei seiner Freunde die Idee begeistert aufgriffen. Man kam überein, quasi als eine Art Andenken an diese zermürbende und für Stammtischrevolutionen ausgesprochen ertragreiche Zeit, auch nach der häuslichen Quarantäne Bier und Bademantel beizubehalten. Man verabredete dies wie eine Art geheimen Code, was einen in Kopf und Herz ganz Subversiv fühlen ließ. Zwar gab es anfangs im gemeinsamen Internetforum, welches ihnen zum kläglichen Kneipenersatz diente, viele Spötter, aber zunehmend bewunderte man den Chuzpe dieser stolzen Bademantelpatronen. Da diese sehr vehement und ausdrücklich für die verlorengegangenen Rechte ihrer Zeit das Wort führten, war das abgelegte Hemd und die behaarte Brust unter dem Mantel mit einem Mal Symbol gegen den Feminismus. Es wurde daraufhin angeregt, man müsse Bein zeigen, um zu demonstrieren, dass man sich nicht von Politikern die Hosen herunterziehen lassen wollte. Um noch das binäre Geschlecht zu verteidigen, wurden auch die untersten Hosen verbannt.  Im Februar standen feierlich auf ihren Balkonen die mutigsten Männer und posteten zum Beweis mutmachende Bilder von sich. Die Sache machte ihre Runde. Im März wusste man von ihrer Heldenhaftigkeit. Was in Kneipen nur von den Theken zur Tür gelang, war durch das Internet zu einer nationalen Sensation geworden.  Lediglich weil das tatsächliche Virus die Medien kontrollierte, wurde der Bademantel der überlegenen Untertanen nicht zur viralen Sensation in den öffentlichen Organen.  Das bestätigte sie nur in ihrer Sicht auf die Welt, ihre Belange würden nicht ernst genommen, niemand, nur sie selbst, nähmen sich ernst. Wenn das nicht der letzte Grund war, der ihnen am ersten Tag, da die Kneipen wieder öffneten, nun auch die Mäntel wie Boxer vor Betreten des Rings in den Zimmern liegen zu lassen. Nun waren diese das letzte Zeugnis vor den Computern geworden. Die von den Menschen entledigten Bademäntel warteten geduldig vor dem Internet auf die Rückkehr ihrer stolzen Teutonen. Die zogen derweil in ihre Schlacht, fühlten dem Wind der Freiheit entgegen, saßen in ihren Kneipen – wo es ihnen viel zu still vorkam und von Tresen zu Tür viel zu kleinweltlich. Ihre Nacktheit hatte die Braven vertrieben wie einst die Römer in der Schlacht bei Arausio. So saßen sie an ihren Stammtischen und tranken gemeinsam ihr Bier. Und hielten gemeinsam wieder ihre Stammtischmäuler. Die nackten Teutonen, wie sie still lachten, über das brave Deutschland, dessen Moden sie wie Fremdsprachen nicht mehr verstanden.

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