Sich als Schachfigur fühlen – Essay

Im Sterbebett, dort oben in dem Klinikum, las Franz Kafka in den letzten Tagen „Entweder Oder“ von Sören Kierkegaard. Das ist aus seinen Tagebuchaufzeichnungen zu entnehmen. Also nehme ich mir den Kierkegaard vor. Und ich versuche ihn zu lesen, wie ihn der sterbende Kafka gelesen haben mag. Und das Entweder Oder ist ein absoluter Wirbelsturm an Ideen und Gedanken. Er ist sperrig auf den ersten Blick, der ein philosophisches Werk vermutet, dann aber enttäuscht wird. Entweder Oder ist erst hinter ...

Zynismus – Essay

Der Kyniker Diogenes Laertius sagte einmal: „Ein reicher Mann ohne Bildung ist ein Schaf mit goldenem Vließ.“ Oh, ich liebe die Zyniker. Der Kynismus ist genau meine Sache. Der Begründer dieser Schule ist nicht, wie man landläufig vielleicht vermuten mag, dieser ältere Mann, der in einem Fass lebte, sondern eigentlich gilt Antisthenes von Athen als erster Kyniker. Und dieser wiederum war einer der Fans des Sokrates. Erst sein Schüler war der berühmte Diogenes und erst dem gelang es a) ...

Marie Mallarmé – Kapitel 2 (2)

4. Teil und Abschluss des zweiten Kapitels: "Als Marie Mallarmé wieder in ihrem Zimmer war, beschloss sie die Regeln wie eine Landkarte zu verwenden. Wenn sie dieses neue Zuhause verstehen wollte, musste sie natürlich die Regeln verstehen, die ihr Bernard gegeben hatte. Und um die Regeln zu verstehen, musste sie sich auf den Weg machen." ...

Marie Mallarmé – Kapitel 2 (1)

Der erste Teil des 2. Kapitels: " ... Sie war das Mädchen, das in ihren Träumen die Monster eingepackt hatte, so wie man in Koffern seine Kleider transportiert. Und diese Monster, da waren sich alle sicher im Haus, diese Monster waren echt. Denn jedes Kind im Heiligen Geist hatte seine Erfahrungen mit Monstern schon gemacht gehabt. Auch Claudine und Bernard hatten ihre Monster, sonst wären sie ja auch nicht hier, nicht wahr? In der Obhut von Doktor Zeller, der alle Kinder von allen Monstern ja retten wollte. ..." ...

Marie Mallarmé – Kapitel 1 (2)

(...) Marie Mallarmés allererster Eindruck von dem Bauwerk war zu komplex für ein kleines Mädchen. Und deshalb soll hier nur gesagt werden, dass dieses kleine Mädchen sich von Anfang an im neuen Zuhause unwohl fühlte. Sie fühlte sich nur wohl, weil Thomeo diesen einen Satz gesagt hatte. Aber in einem Satz kann man nicht schlafen. Sie fühlte sich geborgen, weil Bernard und Claudine da waren, und sich einfach so um sie kümmerten. Aber ein Kümmern ist nicht aus Mauern und Dächern gestaltet. Sondern um Nähe. Thomeos merkwürdige Art fühlte sich warm und wohlig an. Aber das ist keine Wärme, die einem gegen das Zittern hilft. Oder gegen die Albträume. (...) ...

Marie Mallarmé – Kapitel 1 (1)

(...) Atome wechselten ihre Plätze, Moleküle setzten sich nicht mehr richtig aneinander. In dem großen, schwarzen Nebel, der durch die Haustür ins Innere drang und alles umschloss, inklusive Marie Mallarmé, wurde erst alles eins und dann – huschhusch – legte sich alles inmitten von Sturm und Chaos wieder aneinander, bis alles wieder so aussah wie zuvor. Aber nur, so dachte Marie Mallarmé sofort, nur weil wir die Fehler auf molekularer Ebene nicht sehen können. Unsere Augen und unsere Köpfe sind zu groß um zu sehen, was sich alles da unten im Kleinen verändert hatte. (...) ...

Die Wissenskrise – Essay

Rein deskriptiv: die Flut an Wissen macht nicht klüger sondern dümmer. Die Zensur macht stiller, aber zorniger. So war es früher. Heute entsteht eine durch Algorithmen geschaffene Äquivalenz zur Zensur. Die Masseninformation unterdrückt die wahrhafte Einzelinformation. Das überfordert und macht stumm. Der Zorn, der entsteht wird durch die Algorithmitisierung der Informationsportale exponenziell gesteigert: Die Presse generiert längst keine Informationsblätter mehr, sie generiert Leser, ...