Im Stockwerk über mir wohnt Gott – zweiter Teil: Warum der Regen heutzutage trocken ist

Challenge accepted. Hier folgt der zweite Teil einer Reihe Kurzgeschichten. Der erste Teil ist hier bei Haerzenswort präsentiert worden. Und wenn das Feedback gut wird und der Spaß daran anhält, könnte es ein längeres Projekt werden.  

 

Im Stockwerk über mir wohnt Gott. Er heißt Woziak. Eigentlich sieht er gar nicht wie Gott aus, sondern wie eine abgemagerte Version von Karl Marx. Die meiste Zeit trägt er grobe Rippunterhemden und dunkelblaue Jogginghosen. Er hat eine brummige Stimme und riecht wie ein Schnapsladen.

Wir treffen uns eigentlich immer nur im Treppenhaus. Meistens in der Kehrwoche. Ich habe schon versucht, ihm auszuweichen. Das würde ich als eine natürliche Reaktion bezeichnen. Aber wenn einer es drauf anlegt, dir über den Weg zu laufen, dann schafft der das auch.

Wir haben die Mülltonnen draußen im Hof stehen. Es war ein wirklich mieses Shitwetter. Da schickt man keinen Hund raus. Aber mich zum Müll rausbringen. Ich blicke durch das Sichtfenster an der rückwärtigen Außentür. Und da ist natürlich niemand im Hof. Auch im Treppenhaus ist vollkommene Stille. Ich zieh mir den Pulloverkragen hoch, renne nach draußen, werfe die beiden stinkenden Müllsäcke in die Tonne und will durch den Regen wieder zurücksprinten. Da sehe ich Woziak schon in der Tür stehen. Er grinst mich an. Der Regen hat ihm die Haare schütter und strähnig in die Stirn geklebt. Ich kann also entweder draußen im eiskalten Regen stehen und warten, bis er weg ist. Oder ich renn ihm einfach in die Arme. Und dann weicht er auch nicht aus, wie man das erwarten sollte, und macht mir den Weg frei, sondern auf einmal stehen wir da im engen Türrahmen. Er ziemlich breit, weil er die Arme in die Seite gestemmt hat und ich noch halb draußen.

„Shitwetter“, sagt er. Da gibt es nichts zu widersprechen. Ich brumme.

Eigentlich ein Geräusch, das so was sagen soll wie „Schönen guten Tag, Woziak. Darf ich rein. Das Wetter ist bescheiden und ich werde hier draußen weder trockener noch wird es wärmer.“ Aber er versteht offensichtlich nur: „Schönen guten Tag.“ Und er grinst ganz breit und sagt noch: „Regen.“

„Genau.“, sage ich und versuche ihm mit meinem Blick zu signalisieren, dass er mich jetzt gefälligst ins Trockene lassen soll.

Woziak hat so eine Art an sich. Er sieht einen an und irgendwie doch an einem vorbei. Und genauso ist es mit dem Zuhören. Er hört garantiert meine Gefühle aus meiner Stimme heraus, aber er hört auch irgendwie durch meinen Frust hindurch.

„Früher war der Regen besser.“, sagt er. Und das ist so ein unfassbarer Blödsinn, dass ich mich sagen höre: „Was um alles in der Welt soll am Regen besser gewesen sein?“

„Der Boden wird nicht mehr richtig nass davon.“, erklärt er mir besserwisserisch. „Draußen auf dem Land sind die Böden ganz rissig geworden und der Regen sickert ein und anstatt den Boden nass zu machen, geht das ganze Wasser durch die Risse im Boden bis zum Grundwasser runter und der ganze Boden bleibt trocken und knüppelhart.“

Er streckt seine Hand über meiner rechten Schulter vorbei in das Wetter hinein und ich denke nur: „Lass uns doch den Platz tauschen, wenn du den Regen spüren willst. Ich mal dir auch Platz. Versprochen!“ Aber bevor ich was sagen kann, zieht er die Hand wieder zurück und reibt sie sich an meiner Schulter ab.

„Siehste, ganz trocken.“

Nix hab ich gesehen. Und überhaupt: Trocken fühlt es sich wirklich nicht an.

„Da sind die da oben dran Schuld.“

„Die Regierung vermutlich.“, damit spiele ich darauf an, dass er mir vor ein paar Tagen im Treppenhaus eine Rede über die Verdorbenheit der Regierung gehalten hat. Zu meiner Überraschung sagt er: „Nee.“, und er schüttelt heftig den Kopf. „So mächtig sind die jetzt auch wieder nicht.“

Am liebsten würd’ ich ihn dran erinnern, dass er mir gefühlte dreitausend Mal an den Kopf geworfen hat, ich solle nicht so blauäugig sein, die Regierung zu unterschätzen. Aber ich beiße mir brav auf die Zunge.

„Also bitte“, sagt er. „Das Wetter ist schon ne Nummer größer. Das sind die ganz da oben.“

„Noch über der Regierung? Die Illuminaten?“, ich will witzig sein, aber das sind Witze, die an Woziak vorbei gehen. Ich will gar nicht wissen, an wie viele Verschwörungstheorien der Alte so glaubt.

„Die da oben, das sind die Wissenschaftler.“, erklärt er mir feierlich.

„Die von der Uni?“

„Nicht alle natürlich. Aber da gibt es so einen Ring. Eine Geheimgesellschaft.“

„Natürlich.“, sage ich und ich glaube zu spüren, wie durch meinen Rücken allmählich das kalte Wetter einzieht und sich auf die kommenden Woche Erkältung freut. „Und wer soll das sein?“

„Was meinen Sie?“

„Wie die heißen, wollt ich wissen.“, grummele ich.

„Keine Ahnung. Die sind doch geheim. Man sollte immer den Geheimgesellschaften misstrauen, von denen man zumindestens schon mal den Namen kennt. Illuminaten, Freimaurer, Zionisten, Juden, Bolchewisten. So geheim kann man nicht sein, wenn man den Namen kennt. Sie kennen mich doch auch. Also bin ich nicht geheim.“

„Natürlich.“, brumme ich wieder und versuche die Arme um mich zu schlingen, als könnte ich die Wärme damit davon abhalten, langsam aus dem Körper auszuziehen.

„Das, was da zittert bin übrigens ich.“, erkläre ich Woziak. Der ignoriert das.

„Die haben ein großes Interesse daran, das Wetter zu beherrschen. Haben Sie schon von der Klimaerwärmung gehört?“

„Nee, noch nie.“, sage ich.

„Die drehen langsam das Klima höher. Auch wenn es kalt ist. Dann ist es auch warm.“

„Klar.“, sage ich.

„Wir hatten früher noch arschkalt im Winter, mein Freund. Wenn wir eine Stunde draußen waren, dann ist uns der Atem in der Luft gefroren und zu Eis geworden und wir haben den Eisatem aus der Luft geangelt und haben die Lufteisbälle gegen die Wände geworfen und uns über die Abdrücke an den Wänden kaputtgelacht. Heutzutage kannst du sogar in den Schnee pinkeln ohne Angst zu haben, dass du danach mit einem gelben Bogen am Schnee festgefroren bist.“

„Was eine Vorstellung!“, sage ich.

„Der Regen im Herbst war so nass, dass die Felder sich in ganze Schlammseen verwandelt hat. Es gab regelmäßig Warnungen in den Gebirgsgegenden wegen Schlammlawinen. Der Regen hat ganze Dörfer weggeschwemmt.“

„Damals wusste man noch, was das Wort ‚Wetter’ wirklich bedeutet.“, sage ich und versuche jetzt doch, ihn sanft zur Seite zu schieben. Erfolglos.

„Damals gab es noch Wetterkatastrophen“, schreit er mich auf einmal an, „die noch das Wort ‚Katastrophe’ verdient hatten! Heute schreit man, wenn mal ein Sturm übers Land fegt. Aber wir hatten die Flutkatastrophe von 1953! Da war auf einmal die ganze Niederlande fort. Die ganze Niederlande. Es sind Schiffe untergegangen und als dann 1962 die nächste Flut über Hamburg drüberrauschte, da hat der Schmidt mal nicht schlecht gestaunt, als da auf einmal mit einer gewaltigen Welle eins dieser Schiffe über die Hansestadt weg getragen wurde. Ein Kreuzfahrtschiff ist in Billwerder einem Bauern aufs Feld gespült worden. Einfach so. Als wär’s ein kleines Papierschiffchen. So was kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. So ein Wetter.“

„Das ist doch nicht wahr!“, sag ich. Und er meint, ich stimme ihm zu, denn er sagt: „Sag ich doch!“

„Nein, das ist Schwachsinn.“, versichere ich. „Überhaupt, der Hurrikan Harvey letztes Jahr! Das war weder so etwas wie ein trockener Regen noch eine unausgewachsene Mini-Katastrophe, würd’ ich mal sagen. Der hat doch ganz Puerto Rico zum Beispiel verwüstet.“

„Wind.“

„Was?“

„Da reden wir aneinander vorbei. Ich rede ja nicht vom Wind. Ein Hurrikan ist so was wie der große Bruder von einem Sturm. Und Sturm, das ist Wind. Ich rede vom Regen, sie müssen schon aufpassen.“, er zeigt mir seinen Zeigefinger. „Und Regen ist was ganz anderes.“

„Ach nee.“

„Ich kann da den Blondschopf aus Amerika wirklich verstehen, wenn er sich gegen die Klimapolitik stellt. Die Regierung kann da tun, soviel wie sie will. So lange die da oben das Wetter machen, ist der Staat da machtlos.“

„Also ehrlich!“, sage ich und jetzt klappern schon so ein wenig meine Zähne aufeinander. „Wir machen diesen Treibhauseffekt, indem wir die Luft mit Abgasen verpesten und indem wir Industrien haben, die die ganze Welt mit Smog überdecken. Wir pumpen Dreck in die Luft“, werde ich lauter. „Dreck, Dreck und Dreck. Der ganze Müll auf der Erde reicht uns ja nicht. Wir pumpen Dreckswolken in den Himmel und decken damit die Erde zu und hindern die Natur daran, ordentlich ihren Job zu machen. Die ganze Welt ist zugedeckt unter einer Wolkendecke aus Scheiße. Und das sind nicht die Wissenschaftler, die das machen, sondern die Politiker, die von den Firmen Geld dafür kriegen, dass sie die Augen zumachen, wo es drauf ankommt.“

„Jetzt klingen Sie aber wie einer von diesen Verschwörungstheoretikern.“, meint Woziak mit skeptisch verwirbelten Augenbrauen.

„Das Wetter wird unberechenbarer“, schnauze ich ihn an. „Wir haben schon seit Jahren keinen richtigen Winter mehr, bei dem man mal mit seinen Kindern raus Schlitten fahren gehen könnte. Schlitten, überhaupt, das wissen die Kids doch gar nicht mehr, was das ist. Oder Ski. Die denken doch beim Wort Schnee nur noch an Koks oder an Bilder aus Märchenbücher – je nachdem, welches Alter. Die Welt wird immer wärmer und wärmer und wärmer. Die Pole schmelzen und das Wasser steigt. Das hab ich in der Schule schon so gelernt und damals hab ich gedacht, oh mein Gott, das soll wahr sein? Und heute bin ich ein Erwachsener und ich kann dabei zusehen, wie die Dinge aus meinem uralten Erdkundebuch erschreckend wahr werden! Und jetzt lassen Sie mich doch bitte ins Haus!“

Woziak schüttelt den Kopf.

„Ich versteh nicht, wie man so sein kann. Sie können doch nicht einfach ‚nein’ sagen und dann genau das gleiche sagen wie ich.“

„Bitte, Herr Woziak.“, flehe ich jetzt.

„Dass der Regen immer trockener wird, erinnern Sie sich, das hab ich doch auch schon gesagt.“

„Herr Woziak.“

„Das liegt daran, weil der Regen immer wärmer wird.“

Ich niese und stelle mir vor, dass mein Chef in der kommenden Woche nicht glücklich über mich sein wird.

„Gesundheit.“, sagt Woziak.

„Danke.“, schniefe ich.

Er reicht mir ein Päckchen Taschentücher. Ich nehme dankbar an, schnäuze mich einmal kräftig und als ich aufsehe, ist Woziak schon auf dem Weg nach unten in Richtung Keller.

Während ich langsam nach oben gehe, komme ich mir ziemlich dämlich vor. Und dann, als ich aus meinen klatschnassen Klamotten schlüpfe, höre ich, wie meine Frau zu mir rüber ruft: „Du warst aber lange draußen. Willst du dir etwa den Tod holen?“

„Mach dir keine Sorgen“, rufe ich rüber. „Der Regen war viel zu trocken, um darin krank zu werden.“

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