Leichtes Gepäck

Wir trugen am Anfang das Leben in unseren Koffern mit uns. Und wir zogen von Tag zu Tag. Immer den Bahngleisen folgend. Wurden wir müde, rasteten wir in jenen Hütten am Wegesrand, deren rückwärtiger Teil von dem Abrutsch der Schotterhalden begraben war. Wir öffneten unsere Koffer und genossen, was wir an Leben darin fanden.
Mit der Zeit wurde immer mehr zum leichten Gepäck geladen. Wir hatten begonnen, alles Mögliche zu unseren Leben in die Koffer zu stopfen. Am Anfang lachten wir über das zunehmende Gewicht, halfen uns gegenseitig beim Tragen, spotteten über die abgetragenen Koffer, die in den Wegrändern bereits von Moos überrankt waren.
Wir trugen das Leben in unseren Koffern mit uns.
Bis auf diese einen, die an dieser Station, wo das Gras von der Sonne ausgeblichen und gelb war, ein gutes Stück ihres Lebens aus ihrem Koffer luden und zu dem Streckenunrat warfen, der ab und an die Wegstrecke säumte. Sie schütteten unbedarft einfach aus und taten, als wäre nichts von all dem Leben in ihren Koffern, nichts von all dem Gewicht etwas Wert. Sie schütteten und warfen sich danach ihre Koffer leichtfertig, halb geöffnet, über ihre Schultern. Mit schäbigen Riemen banden sie sich das Gepäck auf ihre Rücken.
Sie spotteten über unsere gebeugten Rücken und erschöpften Gesichter.
Aber wenn sie auch gut schneller waren als wir, so als wären sie grad eben erst losgezogen und nicht schon mit uns seit Jahren unterwegs, so standen wir doch da und sahen auf den langsam im trockenen und hartrissigen Boden versickernde Rest an fremdem Gepäck. All die Dinge, die wir damals auch hätten ein packen können, uns aber für anderes entschieden. All die Dinge, die wir für Kostbarkeiten hielten und von denen wir spürten, dass wir sie einmal gegen Ende der Wegstrecke vermissen würden.
Jetzt würden die Ratten sich daran gütlich tun.
Und wir folgten ihren Schatten, gebeugt und langsamen Schrittes. Schwer beladen. Mit immer größeren Wegstrecken von einer Rast zur nächsten.
Und sangen Mut machende Lieder
von leichtem Gepäck.

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