Schönstadt – Essay

Die Sitze in den Bussen und Straßenbahnen haben einen unfassbar hässlichen Bezug. Und das absichtlich. Man geht davon aus, dass die Menschen in öffentlichen Räumen randalieren. Also sieht der blaue Bezug so aus, als wäre mit Edding und mit Sprühfarbe ein kreuzundquer Muster überall aufgemalt worden. Kurzum: es sieht so aus, als wäre schon Schindluder mit der öffentlichen Einrichtung betrieben worden. Das ist eine verkappte Psychologie. Du sitzt umgeben von absoluter Hässlichkeit und sollst denken: na gut, es ist ja schon hässlich, brauch ich nichts mehr dafür zu tun.

Die Wände von unterirdischen Straßenbahnstationen sehen so aus, als habe ein Pilz die Petrischale verlassen und sich nun hier unten eingenistet. Trotzdem haben Kids Namen und Telefonnummern darauf geschrieben, Beleidigungen hinterlassen und angeberische Sprüche. Das aktiv Vandalisierte passt sich harmonisch dem bewusst spröden Design an.

Friedrich Nietzsche schrieb einmal: „Im Schönen setzt sich der Mensch als Maß der Vollkommenheit; in ausgesuchten Fällen betet er sich darin an.“ Oh mein Gott, ich wage gar nicht zu überlegen, welchen Rückschluss das auf die meisten deutschen Städte zulässt. Das Hässliche ist für Nietzsche: „ein Wink und Symptom der Degenereszenz: was im Entferntesten an Degenereszens erinnert, das wirkt in uns das Urteil „hässlich“. Jedes Anzeichen von Erschöpfung, von Schwere, von Alter, von Müdigkeit, jede Art von Unfreiheit, als Krampf, als Lähmung, vor allem der Geruch, die Farbe, die Form der Auflösung, und sei es auch in der letzten Verdünnung zum Symbol – das alles ruft die gleiche Reaktion hervor, das Werturteil ‚hässlich’.“[1]

Wäre ein Raum wunderschön und glatt und weiß und perfekt, dann glaube ich tatsächlich, dass unter zehn Menschen mindestens einer dabei sein wird, der dieser Perfektion das Menschliche entgegenhalten möchte, den Drang verspürt, die Perfektion anzukratzen. Keine Frage. Ich glaube, dass die äußere Erscheinung der Umwelt auf uns wirkt. Gefühle werden in uns ausgelöst. Befinden wir uns in einem perfekten Raum absoluter Schönheit, wir würden uns unter Druck gesetzt fühlen. Und dieser Druck ist es, der das Bedürfnis nach Veränderung auslöst. Aber gehen wir doch nicht in die Extremen. Ein einfach nur schöner Raum, wie positiv wirkt der sich auf uns aus?

Man hat in Gefängnissen Experimente gemacht, ich weiß nicht mehr, ich glaube in den USA. Man hat Gefängniszellen rot gestrichen und beobachtet, dass die Insassen sich überdurchschnittlich aggressiv gefühlt und benommen haben. Im Unterschied dazu wirkten sanfte Blau- und Grüntöne harmonisierend. Eine Erscheinung kann also beruhigen oder aufregen. Sie kann uns produktiv stimmen oder destruktiv. Wir können verändert werden durch die Art und Weise, wie unsere Umwelt in Erscheinung tritt.

In der Architektur gibt es seit langem die aus praktischen Gründen fast unmöglich zu beendende Diskussion darüber, ob eine „Schöne Stadt“ auch „Gute Menschen“ hervorbringt. Die Frage der Ästhetik als eine Frage der Ethik. Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, dass besonders hässliche Städte mit hässlichen Details ausgesprochen hässliche Gesinnungen zu Tage treten lässt. Gibt es eine wissenschaftliche Untersuchung darüber, ob Gewaltverbrechen und ästhetische Abgründe miteinander in Korrelation stehen? Intuitiv würden wir sicher ja sagen.

Unser Selbstbild hängt eng mit dem Bild zusammen, das unsere Umwelt uns spiegelt. Wer in einer Stadt lebt, die von der Assoziation an Degenereszens geprägt ist, wird sich erschöpft, schwer, von Alter, von Müdigkeit, jeder Art von Unfreiheit, Krampf und Lähmung geprägt fühlen. Von einer Welt der Auflösung und der Verdünnung umgeben, wird er sich selbst ausgedünnt fühlen.

Fast so, als drehe die Psychologie der hässlichen Straßenbahnsitze sich um, anstatt dass der Vandale die Sitze beschmiert, beschmiert das Polster Tag für Tag den Bürger.

[1] Nietzsche: Götzendämmerung

Was sagt ihr dazu?