Dirt in the Ground (4/4)

Anfang verpasst? Hier ist Teil 1
Hier ist Teil 2
Hier ist Teil 3
Hier ist Teil 4:

Er schreit ja selbst vor Schmerzen. Ich lasse ihn auf mich einschlagen. Lasse zu, dass er mein Gesicht trifft. Lasse das Schwarz zu. Die Umnachtung. Das Bleierne. Das endlich leibhaftig gewordene Elend. Ich lasse ihn brüllend mein Blut mit seinem vermischen.

Ich wage es aufzusehen. Wage es durch den roten Schleier einen Eindruck zu bekommen, wie er innehält, zurückkippt. Wie er zu Boden sinkt: er sieht aus wie ein Toter, der an Seilen hochgezogen worden ist, die jetzt gerissen sind. Und er klatscht auf den Boden und schmiert dabei unser aller Blut an die Möbel und quer über den Boden. Er verteilt Handabdrücke.

„Was hast du mir gespritzt?“

„Ein Schlafmittel.“

„Das ist gelogen.“, wirft er mir vor.

„Stimmt.“

„Was hast du mir gespritzt?“

„Keine Angst. Krebs kann man nicht spritzen. Leukämie ist nicht ansteckend. So gern ich dir gegeben hätte, was sie hatte. So gern ich dich abhängig von meinem Verfahren gemacht hätte, … das geht nicht. So funktioniert die Natur nicht. Krebs hat jeder für sich allein. Jeder hat seine eigenen Geschwüre. Sein eigenes Leiden. Seinen eigenen Tod.“

„Was – hast du – mir …“

„Keine Ahnung.“, gestehe ich. „Irgendwas Tödliches wird es schon sein.“

„Du Bastard!“, schreit er. Und damit verbraucht er die allerletzte Kraft. Mit diesem Schrei dringt ein waberndes Begreifen in ihn ein, durch das seine Arroganz nur noch schemenhaft hindurchschimmern kann.

„Ist es Aids? Hast du mich mit diesem kranken Dreck infiziert?“

Ich zucke mit den Schulten.

„Du Drecksau!“, er flüstert es nur noch.

„Ich bin vor einiger Zeit nach Hause gekommen und sie hat ein Wandtatoo angebracht. So ein Spruch: „Wenn es bergab geht, geht es bald auch wieder bergauf.“ Das steht in meinem Wohnzimmer. Das hat sie mir dort hingeklebt, damit ich weiß, wie sie über alles gedacht hätte. Sie hat es geklebt und gewusst, dass sie bald sterben wird. Und dann ist sie gestorben und alles lief bergab. Bis es irgendwann auch mal wieder bergauf ging, weißt du. Genau wie sie es vorhergesehen hat. Alles lief wieder gut. Ich verstand mich mit meiner Tochter richtig gut. Sie half mir, war immer für mich da. Und ich für sie. Und ich sagte irgendwann: Verdammt, jetzt ist es an der Zeit, dass du wieder nur für dich da bist. Geh raus, amüsier dich. Lach dir einen Freund an. Mach was aus deinem Leben. Häng nicht immer nur bei mir rum. Bei so einem alten Sack, der auf Mission zieht. Ich hatte begonnen in meinem Keller ein kleines Labor einzurichten und ich hatte begonnen, die Verfahrenstechniken zu studieren, die nur für den Prozess der genetischen Therapie zuständig war. Ich wusste, dass es meiner Frau nur an Zeit gefehlt hat, also suchte ich Mittel und Wege, die Prozesse zu beschleunigen. Einzelne technischen Schritte zur Herstellung diverser Seren, …“

„Ich weiß.“, sagt Dortmünder. „Ein wirklich geniales Konzept.“, er klingt aufrichtig. „Ich kann nicht viel. Aber ich kann Talent erkennen, wenn es ich es vor mir sehe.“

„Du erinnerst dich also.“

„Natürlich. War der Deal des Jahrzehnts. Habe viel verdient daran. Ein paar Pharmaindustrien sind kreidebleich geworden, weil einige Geräte, die den Prozess verlangsamen, komplett abgeschafft werden können.“

„Kostet wohl Arbeitsplätze.“, sage ich.

„Und Abhängigkeiten auf dem Markt werden neu gemischt. Veränderungen mag nicht jeder.“

„Ich weiß.“

„Wie hast du gesagt: Ereignisse, die das Leben unterbrechen.“

„Die Biografie.“

„Wie auch immer.“, er winkt trocken ab. „Das hat auch für mich ein paar Sachen geändert. Ein Neuwagen und so.“

„Hättest du es wenigstens für eine kranke Mutter getan oder so. Aber nein. Alles nur für dich. Nicht wahr? Um zu beeindrucken. Ein glanzvolles Posterleben.“

„Die Frauen stehen auf so was.“, gesteht er. „Ich gehe in dieses Lokal, das Amadeus. Ich tue so, als ob mich beim Hinsetzen der Schlüssel in der Hose stört und ziehe ihn absichtlich umständlich raus. Wenn ich ihn auf die Theke lege, sehen es die Frauen. Irgendwann kommen wir ins Gespräch. Aber eigentlich will jeder nur den Wagen mal sehen. Oder mal eine Runde damit fahren. Das ist der Dreh.“

„Zeigen, was man hat.“

„Funktioniert halt nicht mit einem normalen BMW. Die Masche zieht nur mit einer extravaganteren Marke. Dein Patent war ein Ferrari Wert. Ich hätte mir lieber einen Lamborghini gekauft. Aber den Bullen erkennt nicht jede. Das Pferd schon. Es muss ziehen.“

„Welche Farbe hat er denn?“, frage ich und bringe ihn damit zum Lachen.

„Das hat mich auch eine gefragt. Gleich am ersten Abend. Sie fragte: ‚Die Masche funktioniert bei dir?’ Und ich sagte: ‚Normalerweise nicht.’ Es war der erste Abend, an dem ich es versucht habe. Oh, Moment, das wird dir gefallen: Die Anmach-Idee ist übrigens auch geklaut. Von dem Autoverkäufer. Gut, nicht?“

„Mit so was hat man Erfolg.“, ich schüttele den Kopf.

„Naja, es braucht mehr. Es kommt immer auf die Frauen an. Aber die war schnippisch. Intelligent. Da braucht es mehr als nur einmal mit dem Schlüssel zu winken. Wenn du keinen Charme hast, dann kannst du es vergessen. Das Geheimnis besteht darin, zuzuhören und dem anderen das Gefühl zu geben, dass er verstanden wird und dass ihr beide das Gleiche denkt und fühlt.“

„Wie zwischen uns beiden, wie?“

„Es ist ein Deal. Mehr nicht.“

„Und am Ende steht einer mit leeren Händen da.“

„Soll ich es dir mal ganz brutal formulieren, mein Freund?“, er grinst, dass sich die Zähne bleckten. „Entweder du fickst, oder du wirst gefickt.“

Von mir wirst du keine Antwort darauf bekommen, denke ich.

Er erwartet auch keine mehr er lacht dreckig und sagt dann:

„Komm schon! Das ist unser letzter Tanz. Lass uns so reden, wie wir es im Herz haben. Keine political correctness, keine verschleierten Sachen mehr. Ich wollte es feiern. Der Deal hat mich eine Menge Arbeit gekostet. Und ich hatte ständig Angst, dass du wieder vorbeischauen könntest um einen zweiten Versuch zu wagen oder weil du gehört hättest, was hinter deinem Rücken auf dem Markt so los ist. Ich hatte eine Menge Klinken zu putzen. Eine Menge Meetings in meiner Freizeit und am Ende eine Menge Geld auf dem Konto und eine Menge Spaß im Bett ist das Mindeste, womit man den Sieg feiert.“

„Den Sieg über mich.“

„Ich hab dir Scheiße in die Waagschale gelegt und hab dafür eine Menge Geld bekommen. So läuft es im Leben.“

„Deine Parole war eindeutig.“

„Du hättest so gerne, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, nicht wahr?“

„Nein.“

„Nicht mal, als sie mir sagte, dass sie sich in mich verliebt hat, nicht mal, als sie mir sagte, wie glücklich ich sie mache.“

„Auch nur eine Biografie mit zwei Händen voller Glück und Pech.“

„Und ich bin das Ereignis, das die Biografie unterbricht, nicht wahr? Das der Biografie eine Bedeutung gibt.“

„Du bist die Geschichte, die das Leben bereichert.“, stimme ich bitter zu. „Über den die Frau zu ihren Freunden und Verwandten sagt, dass da endlich jemand ist, der alles wieder auf Vordermann bringt, der wieder die Glücksschale füllt. Wenn es bergab geht, dann ist da endlich einer, der sie den Berg wieder rauf schiebt.

Jedem Ereignis gehen andere Ereignisse voraus.“, fahre ich fort. „Was hat sie erlebt, bevor ihr euch im Amadeus getroffen habt? Was hat sie dazu gebracht, sich so schnell in einen so oberflächlichen Menschen wie dich zu verlieben?“

Er starrt mich an.

„Vielleicht Hoffnung? Vielleicht hat sie vergessen wollen, wie es ist, wenn man Angst hat, weil es sowieso schon genug Angst in ihrem Leben gab. Schon genug Menschen, die sie verlassen haben.“

„Wovon redest du?“, seine Stimme ist schwach und zerbrechlich.

Ich greife noch einmal in die Tasche mit den Spritzen, was ihn zusammenzucken lässt. Ich ziehe das Foto hervor, das ich immer in meiner Brieftasche getragen habe bis die Ereignisse meine Biografie zerstört hatten. Ich nehme das Bild und reiche es ihm. Ich reiche ihm ihr Gesicht und er wird kalkweiß im Gesicht.“

„Es gibt Menschen, die werfen mit Scheiße nur um sich.“, sage ich. Und zeige ihm ein letztes Mal meine Fäuste. Das Pech, das er mit seinem Verrat gefüllt hat und das Glück, das er mit seinem Charme zerstört hat.

„Du hast sie eiskalt abserviert und ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Ohne mit der Wimper zu zucken. Sie hat nicht mal gewusst, wer du bist.“

Und dann gebe ich ihm ihren Abschiedsbrief. Den ich damals im Mülleimer zerrissen gefunden und wieder zusammengesetzt hatte.

Da steht alles drin.

Die Geschichte vom Amadeus und die Geschichte vom Abservieren. Die Geschichte vom Bergauf- und Bergabsturz. Wo es bergab geht, da geht es auch wieder bergauf. Es ist aber auch umgekehrt: Je höher du bist, umso tiefer kannst du stürzen.

„Du solltest zum Arzt.“, höre ich mich sagen. Und ich packe alles ein, was ich mitgebracht habe. „Wenn alles gut läuft, wirst du Silvester mit deiner blinden Freundin noch verbringen können. Aber wenn du fair bist, wirst du die nächsten Monate, die deine letzten sein dürften, alleine verbringen.“

„Ich wusste doch nicht -“, setzt er an.

Was soll er schon sagen?

„Leb wohl.“, sage ich.

Und weil jetzt alles eingepackt ist und alles ordentlich zusammengelegt ist, weil die Arbeit getan ist, setze ich die Pistole an und denke an meine Tochter.

Warte auf mich, denke ich. Gleich bin ich bei dir. Gleich sind wir beide Dreck in der Erde.

Und drücke ab.

 

 

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