Sturmzeit (8)

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„Was ist das?“, fragte Quinn. Ihr Finger strich über diese klebrige, grüne Masse.

„Sieh dir das an, Brudi.“, wiederholte Josy. Diesmal wischte sie vor ihnen ein wenig des Harzes weg und ehe Neues darüber fließen konnte, sah Quinn endlich, was sie gemeint hatte.

„JQJ“, las sie vor. „wer hat das in den Baum geritzt? Sollen wir das sein? Jeanny, Quinn, Josy?“

„Ich war das.“, sagte Josy überraschenderweise.

„Du warst schon mal hier?“

„Im Leben nicht.“

„Aber wie …“

„Keine Ahnung, Brudi. Ich hab am Tag unserer Ankunft ein wenig Scheiß gemacht. Hab mit nem Messer in die Rinde geritzt. Aber nicht hier. In der Herberge. Der Baum dort im Hof. Wo wir gestanden waren, weißt du. Wo man über das Tal diese nette Aussicht hat. Es war an dem ersten Abend. Und dort und nicht hier.“

„JQJ.“, flüsterte Quinn wieder. Das grüne Zeug war inzwischen wieder darüber gelaufen. Ab und an sah man es noch darunter, wenn die Schleimfäden sich zufällig teilten.

„Ich versteh den Scheiß hier nicht.“, sagte Josy. Nicht nur ihre Stimme flackerte vor Panik.

„Wir müssen Jeanny finden.“, sagte Quinn bestimmt.

„Und ich wette, die wird bei ihrem Gerri sein.“

Aber weit kamen sie nicht. Josy rutschte aus und hielt sich gerade noch rechtzeitig an einem anderen, grün verklebten Baumstamm fest. Unter dem Laub lag etwas, das unter Josys Schritten nachgegeben hatte und geschlittert war. Jetzt war das trockene Laub verrutscht und es waren schwarze und gelbe Linien zu erkennen.

Es war eine einlaminierte Fahne wie sich schnell herausstellte: ein gelbes Dreieck in einem gelben Kreis mit schwarzem Hintergrund, wobei die Basislinie des Dreiecks durch die Kreisbahn ersetzt wurde.

Die Laminierfolie verriet, dass die Fahne schon lange da liegen musste. In den einlaminierten Zwischenbereich war bereits Feuchtigkeit eingedrungen. Es hatte sich ein merkwürdiges Fleckenmuster an der oberen Seite ausgebreitet, das entfernt an die schwarzen Sporen von Kellerschimmel erinnerte.

Es deutete sich weiteres unter dem Laub an: Eine Zeitung, Plakate, bunt bedrucktes Hochglanzpapier. Das Laub raschelte und es klang wie ein Flüstern. Ein Windstoß von blätterte in einer Zeitung, es lösten sich eingelegte Werbeblätter, die ihnen an die Fußknöchel flogen.

Der Wind ließ das Laub unter und über ihnen rascheln. Durch die Baumkronen rauschte eine Stimme. Es klang, als ob jemand beruhigend zischend den Finger auf die Lippen legen wollte.

Durch das Knistern des trockenen Zeitungspapiers hindurch, versprach der Wind, das alles wieder gut werden würde. Nur klang die Stimme alles andere als beruhigend. Sie klang gehetzt. Als ob sich der Sprecher selbst Mut zusprechen wollte.

Das Kind ließ sich auch nicht beruhigen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte es den Mann an, der hinter einer krummstämmigen Eiche vortrat. Er wiederholte das zischende Geräusch und war diesmal kaum lauter als der Wind über ihnen.

„Ich kann dir nicht versprechen, dass alles gut wird“, sagte der Mann zu dem Kind, „aber ich kann dir versprechen, dass es gut wird. Es wird immer alles gut. So läuft die Welt.“

Der Mann setzte sich zu dem Kind auf das Bett. Wobei Bett ein sehr großzügiger Eindruck war. Streng genommen war es die Hälfte einer Couchlandschaft. Wo die Armlehne sich befand, lagen zwei große Kissen, daneben eine viel zu große Bettdecke. Am Fußende der improvisierten Schlafgelegenheit fehlten der Fortsatz der Couch und offensichtlich auch die Couchbeine. Quinn hätte Angst gehabt, dass das Kind im Schlaf nach unten abrutschen würde. Aber um den Winkel etwas zu verringern, hatte jemand einen Koffer untergestellt. Der ganze Boden lag voller Zeitungen und Zeitschriften. Selbst an der Backsteinwand hinter der Schlafcouch hingen Seiten von alten Zeitungen. Auf einigen waren mit rot Textstellen markiert, auf Bildern Gesichter eingekreist.

Der Mann, der offenbar der Vater war, klopfte das Kopfkissen des Sohnes zurecht.

„Die Welt ist ungerecht geworden, Gerard.“, sagte er. Und im selben Augenblick zischte Josy in Quinns Ohr: „Ist das Gerri? Ich meine, soll das … Gerri?“

„Ja, Paps.“, die Stimme war natürlich eine Kinderstimme, aber die Ähnlichkeit war schon gegeben.

„Wenn Deutschland erst einmal wieder frei ist, …“, schwärmte der Mann. Er drückte dem Jungen das Kissen auf die Brust. Dann stand er auf und ging zu einem Schreibtisch.

„Wird Deutschland überhaupt mal frei sein, Paps?“

Der Vater reagierte gar nicht darauf. Er war bereits zu sehr auf seine Notizen und Aufzeichnungen konzentriert.

Der Junge schien sich zu langweilen. Er griff unter die Couch und zog eine alte Holzschublade voller Zeitschriften hervor. Quinn konnte den Titel lesen: „Der Landser“.

„Da ist Jeanny!“, sagte Josy auf einmal. Und tatsächlich: Ihre Freundin trat langsam und wie in Trance auf den Jungen zu.

„Nein“, Quinn schüttelte den Kopf. Sie hatte sich auch täuschen lassen. Denn die Frau, die da vorne ging, hatte die selbe Figur, die selbe Frisur, ja sogar die selbe Körperhaltung wie Jeanny.

Wer viel erduldet, der kann Kopf und Schultern nicht mehr gerade halten.

Quinn hatte Jeannys Haltung immer als eine Folge einer dauerhaften Erschöpfung interpretiert. Aber die Frau da vorne hatte den Rücken noch stärker gekrümmt und die Schritte zogen noch schleppender über den Boden. Es war eine Haltung, die Quinn spontan Jeanny-Hoch-Zwei nannte, und dadurch erkannte sie erst, was die Haltung in Wahrheit hervorrief.

„Scheiße, die sieht aus wie ein Zombie.“, flüsterte Josy entsetzt.

„Als ob jemand die Seele so lange mit Steinen beworfen hat, bis sie wie eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen ist, oder?“

Das hatte nichts mehr mit erdulden zu tun.

Die Fremde setzte sich neben den Jungen und nahm ihn in den Arm, als ob er es wäre, der sie zu trösten hatte, als ob sie das Kind wäre und er der Erwachsene.

Der Junge stieß den Arm aber trotzig weg. Er rückte sogar von ihr fort Richtung Fußende. Und dort laß er weiter seine Geschichte.

Die Frau blieb regungslos, teilnahmslos. Als ob sie gar nicht zu diesem Bild dazugehörte. Sie war wie ein Fremdkörper in diesem Setting. Alles sah so friedlich und perfekt aus: der Mann, der selbstversunken über dem Schreibtisch tüftelte, das Kind, das in seiner Soldatenzeitschrift las. Die Frau sah den beiden zu und es sah für Quinn so aus, als ob sie nichts anderes tat, als ihren eigenen Platz in diesem Bild zu suchen. Statt aber irgend etwas wirklich zu tun, verharrte sie in völliger Gleichgültigkeit. Bis der Junge sie wegschickte.

„Will mich hinlegen.“, es klang wütend.

Sie stand mit einem sichtbaren Kraftaufwand auf und schlurfte wieder an eine andere Stelle. Aus einem Schrank zog sie tatsächlich einen Bunsenbrenner hervor, an den ein globiges Gestell angeschweißt worden war. Darauf konnte sie in einem Topf den Inhalt einer Dose erwärmen. Es dauerte alles unendlich viel Zeit. Jede Bewegung, jeder Handgriff war unglaublich langsam. Auch wie der alte Mann vom Schreibtisch aufstand, wie er sich zäh durch die Luft bewegte und auf einen morschen Einbauschrank zuging.

Er nahm einen Schlüssel aus seinem Geldbeutel und schloss auf.

Quinn und Josy quietschten auf vor Schreck. Alles ging wahnsinnig schnell. Ein gewaltiger Schwarm dunkler Motten, jede einzelne fast handtellergroß, schoss aus dem dunklen Verschlag heraus und flutete die Nacht. Die Tiere waren schnell und geräuschlos wie eine Wolke. Sie jagten in die Richtung der beiden Frauen, die sich vor Schreck und Ekel auf den Boden warfen.

„Quinn!“, kreischte Josy mit ungewohnt heller Stimme. Sie hatte vor Panik die Arme über dem Kopf gekreuzt und das Gesicht tief im Laubboden vergraben. „Sag mir, wenn sie weg sind! Was ist das? Quinn, ich scheiß mir die Hosen voll. Verdammt, Quinn, ich will …“

Und mit einem Schlag herrschte Stille.

Quinn wagte es als erste, den Kopf zu heben. Und sie bereute es auch sofort.

Die ganze Luft war erfüllt von diesen Motten. Sie flatterten so dicht, dass man kaum etwas anderes sehen konnte. Aber sie wirkten nicht mehr aufgescheucht oder wild. Es war vielmehr, als ob jede einzelne Motte seinen festen Platz in dieser gigantischen Wolke eingenommen hatte, die die ganze Welt zu verdunkeln schien.

„Josy“, sagte Quinn, die es kaum wagte, den Mund weiter zu öffnen, als nötig, weil diese Viehcher ihr immer wieder das Gesicht streiften und sie einfach nur Ekel davor hatte, dass ihr eines in den Mund hätte fliegen können.

„Josy, das ist alles so fuckedup!“

„Kann ich die Augen wieder öffnen? Sind die Dinger weg?“

„Fuck, nein!“, am liebsten hätte Quinn laut geweint.

Josy sah jetzt auch auf und ihre Reaktion war ein Geräusch, das Quinns gequälte Gefühle sehr gut widerspiegelte.

„Wir müssen weiter.“

„Brudi! Ich hass dich dafür, dass du das gerade gesagt hast.“

Quinn hielt sich selbst die Hand vor den Mund und dann rief sie so laut sie konnte noch einmal nach Jeanny.

Josys Wimmern war die einzige Reaktion.

„Jeanny, verdammt! Schaff dich her! Gib eine Reaktion. Ich liebe dich, Süße, wir müssen von hier weg.“

Josy klatschte eine Motte tot. Es war eine völlig irrationale Reaktion, weil es nicht nur nichts brachte, es führte lediglich dazu, dass Josy noch mehr das Gesicht verzog.

„Die Dinger sind so widerlich.“, sie zeigte Quinn ihre Handflächen.

Kein Wunder: diese Motten mochten schwarz und fett sein, aber sie bluteten natürlich dieses grüne Zeug. Und die Flügel waren wie mit einem rauchigen Flaum überzogen, der sich nun langsam in der Handfläche auflöste.

„Sorry, Josy. Wir müssen weiter.“

„Dann musst du meine Hand halten, Brudi.“

Es beruhigte sie beide, dass sie sich spüren konnten. Aber das war nur ein geringes Wohlgefühl im Vergleich zu den Berührungen mit den Motten, die nicht aus dem Weg flatterten. Die ganze schwarze Wolke, die sich vor ihnen ununterbrochen flatternd bewegte, roch wie wochenalter Tabak.

Dann sahen sie endlich wieder Umrisse. Und endlich war es Jeanny.

Sie stand inmitten der Mottenwolke und starrte schwankend ins Leere.

Josy war so glücklich, ihre Freundin zu sehen, dass sie Quinn losließ und auf sie zu stürzte. Ein paar Motten flatterten aufgeregten von Jeannys Oberkörper fort. Ein paar hatten sich auch in ihren schwarzen, strähnigen Haaren versteckt. Als Jeanny jetzt von ihnen gerüttelt wurde, flatterten sie aufgeregt in die Wolke zurück.

Ohne Vorwarnung erbrach Jeannys sich und sackte in Josys Arme.

„Alles gut, Brudi. Lass es raus.“

„Mir ist so schlecht.“

„Ach nee, Schatz. Das hätt ich nicht gedacht.“

Jeanny verdrehte die Augen. Ihr Gesicht war kreidebleich.

„Sie kann nicht mehr weiter gehen.“, sagte Quinn. „Erinnert dich das an jemanden?“

Josy presste ernst die Lippen aufeinander und nickte. Gemeinsam trugen sie die Freundin zur Seite, wo sie sie am Boden gegen einen Baumstumpf lehnen konnten.

„Du bleibst bei ihr?“, fragte Quinn.

„Quinn?“

Sie sah noch einmal zu Josy zurück, die eine ganz ernste Frage zu stellen hatte: „No men left behind? Wirklich?“

„Nein.“, sagte Quinn ohne zu Zögern.

„Was dann?“

„Gerri ist nicht allein da draußen.“, war Quinns Antwort, ehe sie vor Josys Augen von den Motten verschluckt wurde.

Es war aber auch zu schwer zu erklären, was in ihr vorging. Denn es war weder so, dass sie Gerri retten wollten, noch dass sie bei seinem Unglück überhaupt dabei zu sein hatte. Aber da war etwas, irgendetwas zwischen dem blanken Entsetzen und dem Voyeurismus, das sie in diese Mottenwolke hineinzog. Sie folgte dem Impuls, der an ihr zerrte und spürte dabei, wie dieser lebendige, schwarze Nebel immer dichter wurde, bis es geradezu eine Kraftanstrengung kostete, ihn zu durchschreiten. Und doch setzte sie immer weiter einen Fuß vor den nächsten, hielt den einen Arm schützend vor ihr Gesicht, die Augen eng zusammengepresst, die Lippen fest geschlossen. Die Flügel schlugen und klatschten ihr entgegen. Mit der freien Hand wühlte sie vor sich, schob sie diese Insekten zur Seite. Das ungute Gefühl wuchs immer weiter. Es wuchs zu einer Art stillen Panik heran, die sie schließlich innehalten ließ.

Sie stand jetzt mitten drin.

Dicht angeschmiegt von myriaden von Motten. Es war inzwischen ohrenbetäubend dicht geworden, wie das Flattern um sie herum rauschte und brummte. Und heiß war es. Unerträglich heiß. Sie wagte einmal tief durch die Nase Luft zu holen und überwand den letzten Impuls, der sie noch zurückhielt. Doch es war ohnehin nur ein einziger Schritt. So, als ob die Motten nur darauf gewartet hätten, dass sie diese eine letzte, innere Schranke überwand, stürzten mit einem Mal alle Motten wie tot zu Boden.

Jede einzelne stürzte. Erst hatte das den trügerischen Effekt, dass sie glaubte, sie selbst werde hoch gehoben. Aber als die ersten auf den Boden auftrafen, staubte das Rauchige ihrer Flügel zischend nach oben.

Direkt vor ihr und jenseits einer nur armbreiten Wand aus stürzenden, dampfenden Motten stand Gerri. Und zwar zweimal.

Er stand sich regelrecht selbst gegenüber und obwohl Quinn wusste, dass das nicht sein konnte, hätte sie nicht sagen können, wer der echte und wer die Illusion von Gerri sein mochte.

„Du musst die Welt befreien.“, sagte der Rechte. „Überall sind sie versteckt, nicht wahr?“

„Halt die Fresse.“, erwiderte der Linke, was den anderen aber nur zum Grinsen brachte.

„Die Feinde deines Vaterlandes sind überall. Sie haben dir einen Chip in den Ausweis gepackt, nur damit sie jederzeit wissen, wo du dich befindest.“

„Schwachsinn. Halt die Fresse. Halt einfach die Fresse. Das ist der Scheiß, den mein Alter geglaubt hat.“

„Wir glauben das natürlich nicht.“, nickte der Erste jetzt. „Wir glauben nicht, dass die Welt gerettet werden muss. Niemand bedroht unser feines, deutsches Land.“

Gehetzt blickte sich der linke Gerri jetzt um. Er blickte sogar direkt in Quinns Richtung, aber ihr Anblick beruhigte ihn nicht. Im Gegenteil. Gerris Augen funkelten böse.

„Was ist das hier für ein Scheiß?“, fuhr er Quinn an. „Was soll der Mist hier?“

Quinn schwieg.

„Halt sie da raus. Sie ist doch nichts.“, rief der Rechte und jetzt kam er dem Linken bedrohlich nahe. Er krempelte bei seinen Schritten die Arme nach oben und ließ die Knochen knacken. „Nichts Wert, nicht wahr?“

„Ihr habt da irgend eine Kacke am Laufen.“, knurrte Gerri Quinn an, dann nahm er aber wahr, dass der andere Gerri kämpfen wollte. Er wich problemlos einem halbherzig geführten Schlag aus.

„Was soll das?“, fragte er.

Der, der geschlagen hatte, grinste noch eine Spur breiter.

„Was hat mein Vater einen Müll geredet. Und weißt du, was das Schlimme war? Dass er den ganzen Müll noch geglaubt hat. Er hat ihn uns sogar beigebracht, erinnerst du dich an seine Lektionen?“, ein zweiter Schlag, diesmal besser platziert, aber Gerri fing die Faust gut ab und lenkte sie fort.

„Quinn!“, brüllte der, auf den geschlagen wurde. „Woher wisst ihr die Sache mit den Lektionen? Wer hat euch das erzählt? Wer steckt da dahinter? Ich hab auch Jeanny nie nichts erzählt. Ich -“, der nächste Schlag traf. Gerri sackte kurz ein, kam aber sofort wieder in die Abwehrposition zurück.

„Sag sie, uns zu Liebe.“, bat Schläger-Gerri mit geheuchelter Miene.

Anstatt aber eine Antwort abzuwarten, schlug er mit der linken Faust zu und zwar so fest, dass der Schlag donnerte. Dazu sagte er: „Lektion 1: Augen auf!“

Die Luft entwich Gerri mit lautem Pfeiffen. Er fiel auf die Knie und der triumphierende lachte: „Wer in der Demokratie einschläft, wacht in der Diktatur auf. Wer glücklich einschläft, wacht in seiner eigenen Scheiße auf! Ist dir aufgefallen, dass du seit ein paar Jahren in deiner eigenen Scheiße liegst, Gerri? Du hast die die Hosen voll gemacht und nimmst es nichtmal wahr. Wie erbärmlich ist das denn?“

Und wieder kam der nächste Schlag unerwartet: „Lektion 2: Hände zu Fäusten!“, die Faust traf Gerri mittig auf der Stirn, dass er wie ein nasser Sack zu Boden klatschte.

„Ha!“, machte der Schläger und kehrte mit einer übertriebenen Siegerpose auf seine Ausgangsposition zurück. „Dabei haben wir noch ein paar Lektionen vor uns. Zum Beispiel Lektion 3!“

Unerwarteterweise sprang der Gerri, der eben noch benommen auf dem Boden gelegen hatte, auf und rannte den ersten um. Er sprang ihm von hinten regelrecht in die Knie hinein, dass sie auf dem Boden rollten. Blut spuckend kamen sie wieder hoch und während der eine lachte, sagte der andere: „Dein Feind darf nie den Rücken sehen. Wer ist unser Feind, Gerri? Weißt du es noch?“

„Wer ist unser Feind, Gerri?“, wiederholte der andere.

„Lektion 4: Vergiss nie deinen Feind.“

„Dein Feind ist, wer dir alles wegnehmen will.“

„Oder dir alles lässt, weil es dir schadet.“

„Dein Feind …“

„Dein Feind …“

Sie sagten nicht, wer der Feind war. Gleichzeitig stürzten sie aufeinander zu. Sie prallten krachend aufeinander, verhakten sich, stürzten zu Boden und schrien.

Es sah genauso aus wie wenn die Motten zu Boden stürzten. Die Arme weit ausgebreitet, so stieg von dem untersten der beiden Gerris bei dem Aufschlagen auf dem Boden dunkler Rauch nach oben. Der andere stürzte geradewegs und mit den Armen noch immer in der Klammerhaltung um einen jetzt nicht mehr greifbaren Feind in das spitze Ende eines aus dem Boden hervorragenden Astes hinein. Es gab ein Geräusch, als ob man ein Kissen aufschlitzen würde. Es klang nicht halb so furchtbar, wie man hätte meinen können.

Und Gerris Körper rutschte an dem Ast sanft herab. Als stürzte er in Zeitlupe aus den Wolken herab, in der Absicht niemals den Boden zu berühren. Während er herabglitt und sich der Ast am Rücken wieder hervorbohrte, rückte sein Kopf immer weiter in das Genick hinein. So als folge sein Blick irritiert den sich auflösenden Rauchschwaden.

Jeanny stolperte auf einmal an Quinn vorbei. Und dann löste sie sich aus Josys und Nazdas Armen und stürzte mit einem lauten Schrei auf Gerri zu. Sie rief seinen Namen, brüllte ihn an, was sie denn jetzt sein wird, ohne ihn. Sie fragte ihn, was aus ihr wird.

Gerri gab natürlich keine Antwort. Sie prallte von ihm zurück, sah zu den drei Frauen zurück und vor Quinns hilflosen Augen zerbrach etwas in Jeannys Gesicht.

Nazda sagte: „Du solltest auf eigenen Beinen stehen.“

Jeanny zitterte nur. Josy krallte sich wieder an Quinn fest, die nicht wusste, wohin sie blicken sollte, die einfach nicht von Gerris Leiche wegblicken konnte.

„Mein Leben ist vorbei.“, brachte Jeanny stimmlos hervor.

„So ein Unsinn“, Nazdas Stimme war voller Zorn. „Es fängt gerade erst an.“

Und wie zur Bestätigung hörte man Josy sagen:

„Brudi: Du bist Jeanny. Und nicht Gerris Frau. Da ist ein Unterschied.“

„Da muss ein Unterschied sein. Muss einfach.“, das waren die ersten Worte, die Quinn seit langem sprach. Es schmerzte, dass sie zwar in Jeannys Richtung gingen. In Wahrheit aber sagte sie es zu sich selbst. Und zu Nazda, die nicht mehr zu sehen war.

Was sagt ihr dazu?