
Erinnern
Buchenwald (2)


Verlierer und Geschichte
Nicht die Geschichte sollte Verlierer,
Verlierer sollten Geschichte schreiben.
Nicht ihres Blutes wegen, ihres Leids,
Es drängt sie, Gerechtigkeit möge
Wenn schon nicht einst ihnen
So doch der Wahrheit wiederfahren,
Die fortan der Geschichte wiederfährt.
Nicht die Geschichte sollte Verlierer,
Verlierer sollten die Geschichte treiben
Vor sich her. Denn Verlierer
Haben nur die Zukunft als Heimat.
Die Einschulung
Es war schon merkwürdig, wie sich die Gesprächsthemen bei Tisch verändert hatten. Da war mal eine Zeit, in der man einfach schweigend an einem Grill gestanden hatte, Schulter an Schulter, in die Glut geblickt hat und alles war gut. Man nannte so was: „Den Gott einen lieben Mann sein lassen“. Und während die Tischgespräche dann langsam gewechselt waren zu bedenklichen, politischen Zuständen, man sich über Präsidenten genauso intensiv unterhielt wie über die Schreibfähigkeiten deutscher ...
Dirt in the Ground (3/4)
Er hat kein einziges Buch in seinem Haus.
Sagt man nicht, ein Haus ohne Buch sei ein Haus ohne Seele?
Ja, ich weiß. Wenn man das Schlechte sehen will, dann sieht man es. Überall hier. Alles in dieser Wohnung, von der ich überzeugt bin, dass sie seinen Charakter widerspiegelt, widert mich an oder stößt mich wenigstens ab. Ich finde nichts, womit ich mich beschäftigen könnte. Keine Zeitschrift. Kein Fernseher. Diese Wohnung ist nichts als eine weiße Wand, eine Projektionsfläche. Und alles ...
Lebenslänglich (3/3)
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Steven war verdammt gut im Pokerspielen.
Er erkannte einen Bluff. Und er verstand es, zu kontern.
„Sie tun mir Leid.“, antwortete er deshalb dem Direktor auf dessen lange Ansprache. „Ganz ehrlich. Sie haben ein so gut sortiertes Haus, führen die Anstalt mit so viel Eifer und Übersicht. Sie bekommen sogar mit, wenn ihr Vorzeigenazi sich mit dem Vorzeigetunesier anfreundet, ihrem politischen Abschiebefall. Aber sie bekommen ...
Schirm
Komm unter meinen Schirm. Es beginnt zu regnen. Obwohl der Himmel wolkenlos ist. Verrückt. Die Sommerregen können unangenehm sein. Komm ruhig näher. Sag mir, wohin wir gehen und verlass dich auf mich. Langsam sinken alle Farben nach unten. Die Stadt tauscht das Licht mit der Welt. An der Uferpromenade zünden sie Fackeln an, haben sie gesagt. In der Fußgängerzone wird es so dicht, dass kein Durchkommen mehr möglich ist. Sieben Bühnen mit vielen verschiedenen Acts. Da wirst du nicht nur zerdrückt, ...
Synästhetic
Fühlt sich grad an
Als wären alle Worte im Kopf Schmetterlinge in etwas zu
Starken Sommerwindwirbeln
Fühlt sich grad
Alles andere als gradlinig an
In meinem Kopf schwirren Bilder von dir wie Maikäfer
Um Lichtwolken herum
Die durch taugesprenkelte
Lilanächte in Erinnerungsfetzen
Verklumpen,
Die vor lauter Geschwirre
Undurchdringlich schwarz werden.
In meinem Brustkorb klingt es
Wie mit der gewaltigsten Kraft
Der Erde gegen die dickwandigste
Goldglocke gedroschen
Dröhnende Ununterscheidbarkeit
Zwischen ...
Visionen
Vor Zeiten, da in der Stadt alle Bewohner über all die Dinge Bescheid wussten, die es zu wissen gab über alle Nachbarn und alle im Viertel, ja über alle in der ganzen Stadt, da war es so, dass niemand sich für irgend etwas anderes als die eigenen Belange interessierte.
Man war zufrieden in einfachster Manier sich einzuschließen und den Schatten an der eigenen Wand mehr Bedeutung beizumessen als dem Tageslicht oder den Gegenständen, die für die Schatten verantwortlich waren.
Irgendwann hatte ...
Die Tauben im Brustkorb
Zeit, die Tauben aus dem Brustkorb zu befrein
Lass sie fliegen, wenn auch nur in dir drin
Und so viel Platz ist nicht für Freiheit,
so viel Platz ist nicht für sie. (...) ...