Der reine Vernichter – Essay

Die Destruktion hat Konjunktur. Wir rutschen in die Zeit der Destruktion hinein, sind vielleicht sogar schon in ihr. Wir erkennen in der Destruktion das Konstruktive. Und ein neuer Protagonist hat die Weltbühne betreten: der Vernichter des Vernichtens Willen. Es gab vorher schon Vernichter. Solche, die die Welt abreißen wollten, niederbrennen bis auf die Grundfesten, um eine neue Welt darauf zu erbauen. Aber diese Art der Vernichter, die man visionäre Vernichter nennen mag, sind inzwischen selbst ...

Flüssige Identitäten – Essay

Ich habe dieses Buch von Konfuzius gefunden. Viele kleine Aphorismen, die einem zu Denken geben sollen. Und da heißt es an einer Stelle: „Der Meister sagte: ‚Es kommt vor, dass der Halm sprießt, und die Pflanze dennoch nicht blüht. Es kommt vor, dass sie blüht und dann doch keine Frucht ansetzt.’“ (Buch IX: Tze Han) Mehr nicht. Und ich frage mich, ob es da um Resignation geht oder um eine einfache Beschreibung. Natürlich wird nicht von Pflanzen geredet, sondern von Menschen. Das ist ...

Heldentypen – Essay

Die Formel der Antike lautet: Er weiß es nicht, obwohl er es tut. Die Formel der Moderne, siehe Hamlet, lautet: Er weiß es, deswegen kann er es nicht tun. Und dann gerieten wir in die Spätmoderne, und da weiß er genau, was er tut und tut es trotzdem. Und dieses Bild der Geschichte und dieses Bild eines Helden sind wir müde geworden. Für die Darstellung dieses Helden gibt es ja nur den Weg des Zynismus und den eines tragischen Bewusstseins. Zynismus macht nur Zynikern spaß, also Hunden. ...

Vera Icon – Essay

Das Vera Icon ist das Nonplusultra des Bildes. Es zeigt wie magisch das Bild sein kann. Es fängt auf, löst, ohne die Realität zu beschädigen, einen wesentlichen Ausschnitt aus der Realität und fängt diese ein, erhält sie, formt sie zu einem über die Zeit hinausdauernden Objekt. Wir tragen die Bilder mit uns herum, über unseren Tod hinaus und transportieren das Leben der Gegenwart so wie mit einer Flaschenpost durch die Zeit in die Zukunft. ...

Schönstadt – Essay

Die Sitze in den Bussen und Straßenbahnen haben einen unfassbar hässlichen Bezug. Und das absichtlich. Man geht davon aus, dass die Menschen in öffentlichen Räumen randalieren. Also sieht der blaue Bezug so aus, als wäre mit Edding und mit Sprühfarbe ein kreuzundquer Muster überall aufgemalt worden. Kurzum: es sieht so aus, als wäre schon Schindluder mit der öffentlichen Einrichtung betrieben worden. Das ist eine verkappte Psychologie. Du sitzt umgeben von absoluter Hässlichkeit und sollst ...

In der Fotografie-Ausstellung

Horaz schrieb einmal: An einem guten Muster werden immer, das Leichteste, die Fehler nachgeahmt. Ich war auf einer Ausstellung. Fotografien von Landschaften. Und der Fotograf erzählte kleine Anekdoten; nur an einer Stelle zeigte er auf einen kaum sichtbaren schwarzen Flecken am Bildrand. Und er meinte, das würde keinem auffallen, jemals. Aber hier, da wo der Flecken sichtbar ist, das sei ein Schatten und der gehöre zu einer ganz anderen Geschichte. Der gehöre zu dem Stativ seiner Ex-Freundin. ...